James Bond und die Liturgie

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James Bond und die Liturgie

Für viele ist ausgerechnet ein Schotte die perfekte Verkörperung des legendären britischen Geheimagenten 007. Sean Connerys Tod ist für uns Anlass, einen Beitrag von 2004 aus unserem Archiv zu holen und frisch aufzupolieren. Thomas Binotto entdeckt in seinem Essay Gemeinsamkeiten zwischen James Bond und der katholischen Liturgie. 

Was haben James Bond und die katholische Liturgie gemeinsam?

Die Antwort lautet: Martini geschüttelt, nicht gerührt; hohe Einsätze im Casino; tiefe Dekolletés; wilde Verfolgungsjagden; nach der Weltherrschaft trachtende Bösewichte; züchtig gar nicht bekleidete Girls; Miss Moneypenny; Felix Leitner…

Diese Liste liesse sich fast endlos weiterführen und sie bezieht sich auf ein einziges, globales Phänomen – eines, das sich selbst jeweils mit der stereotypen Redewendung einführt: «Meine Name ist Bond, James Bond.»

Seit 1962, seit «James Bond 007 jagt Dr. No» mit Sean Connery in der Titelrolle, pilgern wir Bond-Fans so ungefähr jedes zweite Jahr just zur Weihnachtszeit für ein neues Abenteuer des Geheimagenten ihrer Majestät ins Kino.

Seine waghalsigen Abenteuer sind zwar purer Eskapismus, die mit unserem biederen Alltag nichts, aber auch gar nichts zu tun haben, gleichzeitig folgen sie aber einem überraschend streng genormten Muster: In jedem Bond muss es eine Autoverfolgungsjagd geben; jedes Mal bestellt er einen Martini geschüttelt; jedes Mal flirtet er mit Miss Moneypenny und jedes Mal fällt der Satz: «Mein Name ist Bond, James Bond.»

Hier gerinnt Eskapismus zu unverwechselbarem Stil. Und Wahrscheinlichkeitskrämer packt bei derart konsequenter Stilisierung, Unlogik und Unglaubwürdigkeit das kalte Grausen.

Wiederholung als Erfolgsrezept

Bond, das ist nichts weniger als die streng ritualisierte und reglementierte Liturgie der Action-Film-Gemeinde. Selbst kleine Abweichungen werden von eingefleischten Fans mit unbestechlichem Blick wahrgenommen und mit strenger Zurechtweisung geahndet. Bond-Abenteuer sind nicht spannend – und schon gar nicht abwechslungsreich.

Ihr Erfolgsrezept besteht in der Wiederholung, in der Wiedererkennungsgarantie, in der Variation des ewig Gleichen. James Bond, das ist für exotisch sein wollende Familienväter wie Ferien zu Hause – alles am richtigen Platz, überschaubar und geordnet.

«Ernste Naturen, die ganz auf Erkenntnis der Wahrheit angelegt sind, die in allem die sittliche Aufgabe sehen, überall den Zweck suchen, empfinden leicht angesichts von Bond-Filmen eine eigentümliche Schwierigkeit. Ihnen erscheinen diese leicht als etwas Zweckloses, als ein überflüssiges Gepränge, als nutzlos verwickeltes, gekünsteltes Wesen.»

Dieses Zitat stammt von Romano Guardini, ist aber selbstverständlich nicht ganz korrekt wiedergegeben, denn er spricht im Jahre 1918 nicht von «007», sondern vom «Geist der Liturgie». 

Die Popularität James Bonds demonstriert also, dass die Liturgie ihren Reiz nicht aus der Abwechslung, sondern aus der Wiederholung gewinnt. Wir entdecken, dass eine strenge Form, wo das «Einzelhafte vor dem Allgemeinen zurücktritt», erst globale Vermarktung erlaubt. Wir spüren, dass der klare Rahmen unseren Eskapismus, unseren befreienden Ausbruch, erst möglich macht.

Und wir ertappen uns dabei, wie wir ausgerechnet in Zeiten des kirchlichen Strampelns nach Relevanz die leichtfertige Zwecklosigkeit als Labsal empfinden. Selbst die emotionslose Achterbahndramaturgie, die Verweigerung jeglicher Psychologisierung und das banale Gut- Böse-Muster gehören zu diesem Erfolgsgeheimnis.

Denn wie sagt Guardini doch: «Die Liturgie als Ganzes liebt das Übermass des Gefühls nicht. Nicht zu fein gespitzte, zu zarte, weiche, sondern kräftige, klare und natürlich-einfache Empfindungen.»

Austauschbar ist gut

Dank Bond wird uns bewusst, dass es in diesem Spiel auf Individualität und Personenkult nicht ankommt. Es ist keineswegs ein Zufall, dass für die Rolle von James Bond nie Stars ausgewählt wurden – auch wenn sie dann dank Bond zu Stars geworden sind.

Der Schauspieler hat hinter der Figur zurückzutreten, ja optimalerweise verlieren Sean Connery, Roger Moore, George Lazenby, Timothy Dalton, Pierce Brosnan und Daniel Craig ihr eigenes Profil und werden nur noch mit James Bond identifiziert. Und so hat jeder Bond-Fan auch seinen eigenen idealtypischen Bond. Es soll sogar solche geben, die auf Lazenby schwören.

Und erneut erklärt uns das Guardini: «Das Einzelwesen muss darauf verzichten, seine eigenen Gedanken zu denken, seine eigenen Wege zu gehen. Es hat den Absichten und Wegen der Liturgie zu folgen.» 

Mit anderen Worten: Wer die liturgischen Handlungen vollzieht, ist Werkzeug nicht Schöpfer, ja nicht einmal Handwerker oder Stellvertreter. Deshalb auch das überwältigende Dekor, die exotischen Schauplätze der Bond-Abenteuer und die prächtigen, unpraktischen und funktionslosen Messgewänder im Gottesdienst.

Sie dienen dazu, vom Zelebranten abzulenken, ihn praktisch verschwinden zu lassen. Das mag nun nach einer hoffnungslos antiquierten Vorstellung von Liturgie klingen, führt aber zwangsläufig zu einer erstaunlichen Schlussfolgerung: Was spricht nun noch dagegen, dass auch Frauen oder verheiratete Männer zum reinen Werkzeug der Liturgie werden?

Das alles mag für die Wohlwollenden kindlich, für die anderen kindisch klingen. Und das vollkommen zu Recht! Bond-Abenteuer sind etwas für das Kind im Menschen. 

Gilbert Keith Chesterton, der diesen exotistischen Gedankengängen wahrscheinlich mehr abgewinnen könnte als Romano Guardini, Chesterton hat unermüdlich betont, dass der Wunsch von Kindern nach ewiger und exakter Repetition kein Zeichen von Verblödung, sondern von ungeheurer Vitalität ist.

Auf den Kopf gestellt: Es überrascht nicht, dass wir in unseren unausgeschlafenen, hyperaktiven, überhitzten Zeiten nach permanenter Abwechslung lechzen. Hauptsache, es tut sich etwas, das sich wie Lebensfreude anfühlt, auch wenn es nur Hektik ist.

Ausgeschlafene Kindsköpfe dagegen legen Wert darauf, eine Geschichte immer wieder auf die genau gleiche Art zu hören, denn die ablenkungsfreie Repetition ermöglicht ihnen den ungestörten Blick in die Tiefe.

Genau in diesem immer Wiederkehrenden, Stetigen und Alltäglichen, davon ist Chesterton überzeugt, begegnen wir auch in der Schöpfung, getragen von der unendlichen Vitalität und Lebensfreude ihres Schöpfers.

Kinder haben für Liturgie deshalb nicht zufällig ein nahezu untrügliches Gespür. Sie fühlen sich häufig gerade in ganz gewöhnlichen, klar strukturierten Gottesdienst am wohlsten. Sie bedürfen weder halbgelungener Sachkundelektionen noch ganz misslungener Märchenstunden.

Wer nun allerdings erwartet, ein bischöflich zelebriertes Hochamt sei für Kinder von 9 - 99 Jahren der Gipfel an unverzwecktem liturgischem Eskapismus, gewissermassen James Bond für Katholiken, der sieht sich leider enttäuscht.

Auch katholische Hochämter strotzen längst nicht mehr vor repetitiver Lebensfreude. Zwar dauern sie immer noch genauso lange wie eh und je. Aber nicht weil wir uns herzhaft in nutzlosem Pomp ergehen würden, sondern weil einfach noch länger geredet, gepredigt und ermahnt wird. Und es bekommt ihnen gar nicht gut, wenn sich der Zelebrant in massloser Selbstüberschätzung als Stellvertreter in Christi in den Vordergrund spielt.

Das wirkt dann als sei James Bond durch Umberto Ecos William von Baskerville ersetzt worden, damit auch Bildungsbürger auf hohem intellektuellem Niveau ausbüxen können und sich dabei einreden, das sei nun Action.

Für James Bond wie für die Liturgie gilt die biblische Aufforderung: Wie die Kinder sollen wir werden. Um ein letztes Mal Romano Guardini zu bemühen: «In der Liturgie wird dem Menschen Gelegenheit geboten, dass er, von der Gnade getragen, seinen eigensten Wesenssinn verwirkliche, dass er ganz so sei, wie er seiner göttlichen Bestimmung gemäss sein sollte und möchte: ein ‹Kind Gottes›. In der Liturgie soll er vor Gott ‹sich seiner Jugend erfreuen›.»

Text: Thomas Binotto