Heute ein guter Bischof sein – wie geht das?

Die Bischofswahl aus ethischer Sicht

Heute ein guter Bischof sein – wie geht das?

Wenn in unseren Tagen ein Mensch in das Amt eines katholischen Bischofs eingesetzt wird, wirft das mehrere Fragen auf. 

Wie wird derjenige das Amt ausüben? Welche Spuren und Muster aus der fast zweitausendjährigen Geschichte dieses Amtes werden in der Amtspraxis zur Geltung kommen? Und existieren überhaupt ausreichend Markierungen, um dieses Amt in der heutigen Gegenwart angemessen, verbindlich und mit der Aussicht auf Anerkennung führen zu können? Am Beispiel der Diskussionen und der scheinbar nie endenden Auseinandersetzungen um das Churer Bischofsamt wird eine zentrale Frage deutlich, die heute der Beantwortung harrt: Was ist das Berufsethos eines Bischofs? Was sollte es sein? 

Ja, es gibt mehrere Leitbilder für ein solches Amtsethos, und sie sind kirchen- und theologiegeschichtlich gut verankert: Der Bischof ist «Pontifex», ein «Brückenbauer», der dem «Dienst an der Einheit» seiner Gemeinde verpflichtet ist. Er soll erster Lehrer, erster Beter, erster Hirte seiner Ortskirche sein, so etwas wie der Notar und auch der Verteidiger des rechten Glaubens gegenüber Anfeindungen und Gefährdungen. Bewehrt mit der ihm im Weihesakrament verliehenen «heiligen Herrschaftsgewalt» (sacra potestas) darf er sich in der Ausübung seines Amtes als Apostelnachfolger fühlen und als zentraler Akteur einer ununterbrochenen Kette in der Christusrepräsentation, die in seiner Person und seinem Handeln ansichtig wird. 

Soweit die Theorie. In der Praxis stellt sich heraus: Diese Bestimmungen sind der Sache nach bedeutungsschwer, aber in ihrer Abstraktion und Bildhaftigkeit für die konkrete Praxis des Amtshandelns wiederum recht weit von dieser Praxis entfernt. Man kann höchst Unterschiedliches daraus ableiten: In vielen Bistümern dieser Erde gibt es Bischöfe, die ihr Amt nach bestem Wissen und Gewissen ausüben und ihren Gläubigen ein «guter Führer im Glauben» sein wollen – «Bruder unter Gleichen», an der Seite ihrer Gemeinde und an deren lebendigem Wachstum interessiert. Aber dann gibt es auch die anderen: Jene «Lordsiegelbewahrer» der Orthodoxie, die eine bestimmte Form des Kirche-Seins und das zu einer bestimmten Epoche geronnene Glaubensverständnis für das unveränderbar gültige halten. 

Meine Überzeugung ist: Die überlieferten theologischen Markierungen des Bischofsamtes genügen nicht, um dieses Amt den heutigen Herausforderungen entsprechend zu verstehen und auszugestalten. Das existierende Kirchenrecht liefert eine bestimmte, historisch fixierte Art und Weise, diese vage gehaltenen theologischen Markierungen institutionell verbindlich zu interpretieren. Willkürliche Amtspraxis, autoritäre Entgleisungen sowie auch der systemisch vorkommende sexuelle Missbrauch in der Kirche zeigen: Das existierende Amtskonzept genügt nicht, um seinem theologisch so schön formulierten Zweck zu dienen. Wer heute dieses Amt antritt, ohne ein Bewusstsein von diesen strukturellen Defiziten zu haben, wer also nicht spürt, dass das Amt, das er antritt, und dessen institutionelle Umgebung aktiv weiterentwickelt werden müssen, der erscheint in meinen Augen dafür nicht geeignet. 

Es gibt eine Wechselwirkung von Recht und Rechtswirklichkeit, auch in der Kirche. Aus einem Recht, dessen innere Algorithmen einer Logik folgen, die dem tiefsten Sinn der biblischen Botschaft widerspricht, kann nur unter grössten Verdrehungen und auf dem Rücken der handelnden Akteure eine heilsame und gesunde Kirchenpraxis wachsen. Deshalb ist auch die Aufforderung mancher Kanonistinnen und Kanonisten, die «Räume zu nutzen, die das Recht heute schon bietet» irreführend und, man muss es so sagen, ein Fehler. 

Die Verfassung, der gesetzte Rahmen für Kirche und Glauben, ist nichts Nebensächliches! Zwei Beispiele aus unser aller Lebenswelt verdeutlichen das: Auch im Sport entscheidet etwas vermeintlich Äusserliches wie die Spielfeldgrösse oder bestimmte Spielregeln über Gelingen oder Misslingen der Spielidee. Und für die Literatur gilt: Ob eine Aussageabsicht den Regeln von Poesie, Journalismus oder Romanprosa folgt, macht einen riesigen Unterschied! Es gibt diese Aussage gar nicht ohne eine ganz bestimmte Form, in die sie «gegossen» wird. Wieso meint man ausgerechnet bei der Religion, das alles sei Nebensache, ja beschimpft diejenigen, die sich darum sorgen, als «strukturverliebt» und behauptet, damit werde das Wesentliche vernachlässigt? 

Was wäre also ein angemessenes Amtsethos für das Bischofsamt heute? Es bräuchte jemanden, der sich gewahr ist, dass er ein Amt antritt, das eine lange, eine ehrwürdige, eine Geschichte voll von problematischen, aber auch höchst respektablen Amtsinhabern aufweist. Dass aber gerade wegen dieser langen Geschichte auch ziemlich unbestimmt bleibt, wie dieses Amt den Herausforderungen unserer Zeit gerecht werden kann. Diese Herausforderungen ändern sich mit den Zeiten, in denen und für die man Bischof ist. Und in unserer Zeit (und gar nicht erst seit gestern!) heissen diese Herausforderungen: Kompetenz sticht Status, Herrschaft braucht Kontrolle, Macht kann korrumpieren, Autorität muss man sich erwerben, sie fällt nicht vom Himmel.

Ein guter Bischof heute weiss: «Ich übe ein Amt aus, das eine grosse theologische Bedeutung und eine höchst wechselvolle Geschichte hat. Vor allem aber bin ich Bischof einer Kirche, die wie ein niemals renoviertes Haus am Auseinanderbrechen ist, weil die Grundordnung dieser Kirche, und das ist ihre rechtliche Verfassung, nicht mitgewachsen ist.» Um dieses Amt heute sinnvoll ausüben zu können, muss man es also beinahe neu erfinden. Und das heisst: Um heute wirkungsvoll Bischof einer Ortskirche sein zu können, genügt es nicht, mit viel persönlich gutem Willen in den Spuren einer Kirchenorganisation zu verbleiben, deren inneren Muster Monarchie und Ständegesellschaft sind. Ein guter Bischof heute krempelt die Ärmel hoch und macht sich an die Erneuerung der Baustellen von Kirchenverfassung und Institution. Er kann das: weil sein Amt ihm genau diesen Auftrag auferlegt – zu sorgen, dass auch heute und morgen Menschen Kirche sein wollen und können. Und er soll das: weil er eingesetzt ist als der Brückenbauer – sehr viele der einstmals so rege frequentierten Brücken der katholischen Kirche zu den Menschen unserer Zeit aber sind heute verfallen oder eingestürzt. 

Text: Daniel Bogner, Professor an der Universität Freiburg