Paulus und sein neuer Gastgeber

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Paulus und sein neuer Gastgeber

In Zürich-West hat die neue Paulus Akademie einen Ort gefunden, nun hat sie auch einen neuen Leiter: Csongor Kozma. 

Der Bündner mit ungarischen Wurzeln träumt von einem Kompetenzzentrum für Ethik und sieht sich als dessen Gastgeber.

forum: Die Paulus-Akademie stellt Fragen zur Zeit. Welche Frage beschäftigt Sie aktuell am meisten?

Csongor Kozma: Ich funktioniere momentan, es ist alles neu und ich passe mich an. Die Hauptfrage ist für mich: Wie richten wir die Paulus-Akademie so aus, dass sie optimal auf die Fragen der Zeit antworten kann? Das hat mit einer Strategie zu tun. Deren Entwicklung habe ich als neuer Direktor sofort eingeleitet.

Fragen haben die Leute selbst genug. Warum ist die Paulus-Akademie nicht ausdrücklich ein Ort der Antworten?

Wenn wir nur Antworten liefern würden, dann wären wir eine moralische Instanz. Das möchten wir nicht, genauso wenig, wie wir Antworten «ex cathedra» liefern. Unsere Rolle ist die der Moderatoren oder die der Mediatoren, bei konfliktträchtigen Themen. Wir haben den Anspruch, die «richtigen» Fragen zu stellen, also jene, die die Leute umtreiben. Und sie so zu stellen, dass sie selbst zu einer Antwort kommen.

Was motiviert Sie, die neue Paulus-Akademie zu leiten?

Als ich das Stelleninserat meinen Liebsten und engen Freunden gezeigt habe, sagten sie: «Das bist genau Du». Alles, was ich bisher gemacht habe und was ich bin, hat mich hierher geführt. 

«Genau Du»? Was macht Sie denn aus?

Ich bin hier in erster Linie ein Gastgeber. Das habe ich von meinen Eltern und von meiner ungarischen Herkunft mitbekommen: das offene Haus. Dann: Diversität ist wichtig für diese Akademie und so bin ich aufgewachsen. Ich bin ein Kind von Ausländern und doch hier aufgewachsen. Ich würde mich als Davoser bezeichnen, nicht als Ungare. Auch bin ich Teil einer Regenbogenfamilie. Ich lebe Diversität aktiv. 

Ihre Vision für diesen Ort?

Persönlich wünschte ich mir, dass wir eines Tages das Ethik-Kompetenzzentrum für die deutschsprachige Schweiz werden.

Was heisst das?

Dass wir nicht nur das Haus füllen mit Veranstaltung zu ethischen Themen. Sondern dass wir angefragt werden, Unternehmen und Institutionen zu beraten. Dafür haben wir bereits hochkompetente Mitarbeitende im Haus.

Wenn Zürich ein Theaterstück wäre und die Paulus-Akademie eine Rolle hätte – was wäre das?

Ich glaube, das Theaterstück würde «Wurzeln und Flügel» heissen. Wir sind verwurzelt in der katholischen Glaubens- und Denkwelt, wir haben diesen Standpunkt und von dort aus denken wir. Die Flügel lassen uns abheben, hinaus in die Begegnung mit der Welt. Die Rolle der Paulus-Akademie wäre wohl die des Narren. Wir wechseln die Perspektive, was durchaus irritiert und erstaunt, auf humorvolle Weise. 

Sie möchten offen sein für alle. Wer ist denn nun Ihr Zielpublikum? Kirchenleute, die sich für gesellschaftspolitische Themen interessieren? Oder Kirchenferne, um ihnen christliche Zugänge näher zu bringen?

Auch das müssen wir in der Strategieentwicklung klären. Unser Auftrag ist, den Dialog zwischen Kirche und Gesellschaft zu fördern. Unser Zielpublikum ist die «breite Öffentlichkeit» und Mitglieder der Kirchen, da denken wir ökumenisch. Finanziert werden wir hauptsächlich von der katholischen Körperschaft im Kanton Zürich, das heisst, wir möchten spezifisch etwas für kirchlich verortete Menschen bieten.

Kirchenmitglieder – an welches Segment denken Sie da?

An alle. Mein Kirchenverständnis ist, dass wir alle Kirche sind, nicht nur die Würdenträger. Anders gesagt: Wir sind alle Würdenträger, weil wir Menschenwürde haben. Kirche ist für mich also ganz breit, von jugendlichen Interessierten bis zu älteren Menschen im Ruhestand. 

Wie möchten Sie die Menschen erreichen?

Es braucht neue und passende Formate, nicht nur wegen Corona. Wir nehmen die sozialen Medien in den Dienst. An jüngere Menschen kommen wir so vielleicht heran, an ältere wohl eher mit Abend-Veranstaltungen. Der Standort mitten in Zürich im ehemaligen Industriequartier kommt uns entgegen. Wir öffnen unsere Türen für die Menschen, die hier leben und arbeiten.

Und das Kirchenpublikum?

Pfarreien ansprechen, in kirchlichen Medien präsent sein. Meine erste Veranstaltung war ein Gespräch mit Roland Juchem, einem Vatikanjournalisten. Ganz bewusst, weil es kirchliche Mitarbeitende angesprochen hat.

Athen, Philippi, Rom – die Namen der Räume in der Akademie lehnen sich an die Reiseroute des Apostels Paulus an. Welche Bedeutung sollen der alte Paulus und die biblische Tradition heute haben?

Jesus ist der Gründervater unserer Religion. Der Kommunikationschef, das war Paulus. Er hat die Idee verbreitet. Das trifft sich mit der Vision der Paulus-Akademie: im Dialog sein. Auch war er es, der die Kirche geöffnet hat für die Heiden. Er steht für die Öffnung zur Welt und für den Austausch mit ihr. 

Und inhaltlich?

Gott ist die frei verschenkende, bedingungslose Liebe. Wenn wir das den Menschen weitergeben können, dann hat das Konsequenzen für die Menschenwürde, die Gleichberechtigung. Das zweite ist für mich: Teilen. Teilen beeinflusst unsere Wirtschaftsethik. 

Sie haben in Jerusalem studiert, auch ein Ort, an dem Paulus war. Was haben Sie mitgenommen?

Unser Studienjahr stand unter dem Motto «Kultur und Religion». Um deren Verhältnis zu verstehen, habe ich ein Bild mitgenommen: die beiden sind zueinander mehr wie die Schichten einer Zwiebel, als wie Kern und Schale. Das heisst, Religion und Kultur ergänzen sich, das eine geht nicht ohne das andere, beides ist uns Menschen gleich innerlich.

Sie stehen zu Ihrer Lebensform, in einer Regenbogenfamilie zu leben. Laut Lehre lehnt die Kirche Ihre Lebensform ja immer noch ab. Haben Sie diese Ablehnung jemals konkret erleben müssen?

Meine Tante ist sehr katholisch. Sie liebt mich und hat sich gefreut, dass ich hier Direktor geworden bin. Gleichzeitig fand sie, das sei doch irgendwie falsch, dass «die Oberen» das zulassen. Es geht in die Richtung: Ich liebe Dich, aber Deine Lebensform kann ich nicht akzeptieren. 

Wie gehen Sie damit um?

Von Paulus habe ich die Tugend der Milde gelernt. Ich hatte ja selbst lange Mühe, mich zu akzeptieren, wie ich bin. Ich habe es geschafft, und ich finde, mindestens so lange muss ich anderen auch geben, mich zu akzeptieren. Ich möchte transparent leben, mich angreifbar machen. Das heisst aber nicht, dass ich mich nur angreifen lasse. Ich setze mich ein, auch für meine Familie.

Haben Sie Ablehnung konkret auch von Seiten kirchlicher Institutionen erlebt?

Ich merke immer wieder eine gewisse Distanz oder Unverständnis. Harte Diskriminierung habe ich nicht erlebt. Im Gegenteil, ich wurde einstimmig angestellt vom Stiftungsrat, der die katholische Kirche im Kanton Zürich vertritt. Umgekehrt, manche haben sich gewundert, dass ich für die katholische Kirche arbeiten möchte. Ich sage: Ja, das ist auch katholische Kirche hier in Zürich.

Wir leben aktuell mit Corona. Ihre Deutung dieser Herausforderung?

Wir müssen uns physisch fern bleiben und das bedaure ich sehr. Gerade für dieses Haus wäre es jetzt so wichtig, uns kennen zu lernen, ein Team zu formen, miteinander zu arbeiten. Gleichzeitig bin ich überzeugt: Krise bringt Innovation. Wir können gar nicht anders, als Neues auszuprobieren.

Text: Veronika Jehle