Rettung naht

Schlusstakt

Rettung naht

Alain Berset soll Weihnachten retten! Und im Schlepptau von Sankt Alanus sollen sich Politik und Behörden mit ihren Massnahmen ranhalten, damit Weihnachten nicht ausfällt.

Jahrzehntelang und hundertfach habe ich in Weihnachtsliedern den Retter besungen, der uns in einer kalten Winternacht unter unwirtlichen Umständen geboren wurde. Habe in unzähligen Weihnachtsgeschichten davon gelesen, dass die Heilige Familie drei armselige Gestalten auf der Flucht waren. Habe naiv daran geglaubt, dass Weihnachten uns rettet. – Bis Corona mir den Glauben auf den Kopf gestellt hat.

Das ist mit Weihnachten also wirklich los: Das Christkind bringt es einfach nicht mehr. Die heilige Familie versammelt sich um einen reich geschmückten Christbaum. Weihnachten ist nicht länger das Geburtstagsfest von Jesus, dem Gesalbten – sondern unser Fest, bei dem unsere Wünsche gefälligst im Zentrum zu stehen haben. Und wenn Familien sich nicht im XL-Format zum stundenlangen Gelage treffen können, dann hat sich Weihnachten so was von erledigt.

Allerdings hat auch dieser neue Glaube seine Zweifler. Wie viele jubeln wohl darüber, dass der Familienplausch ausfällt und sich an Weihnachten himmlische Ruhe ausbreitet? Wie viele richten ihren geschundenen Körper auf, weil sie erstmals seit Jahrzehnten im Anschluss an die Küchenschlacht nicht zur Physiotherapie müssen? Und wie viele sind einfach nur froh über dieses Weihnachtsfest ohne geheuchelte Freude.

All diese Zweifler lassen ihrer Erleichterung öffentlich wohlweislich keinen freien Lauf. Sie sind sich zudem wohl bewusst, dass leider auch wieder andere Weihnachten kommen werden. Aber hinter verschlossenen Türen werden sie mit glänzenden Augen ein inniges Halleluja anstimmen.

So denkt und schreibt natürlich ein Ketzer. Einer, dessen grösstes Weihnachtsgeschenk jetzt schon fest steht: In der Gasse vor seiner Wohnung wird es wieder Heiligabend, weil das öffentliche Massenbesäufnis ausfällt. Einer, der höchstens im martialischen Sinn daran glaubt, dass Weihnachten der Morgenstern der Familienliebe ist. Einer, den es nicht stört, wenn das Fest in diesem Jahr nicht über das S-Format hinauskommt, weil er small halt beautiful findet.

Vor allem aber einer, der überzeugt ist, dass Weihnachten nicht gerettet werden muss. Denn jene Familien, die sich wirklich lieben, werden die Phantasie aufbringen, sich allen Einschränkungen zum Trotz diese Liebe auch zu zeigen. Und jene Familien, die an Weihnachten etwas erzwingen wollen, was das ganze Jahr hindurch nie klappt, die werden am Ende lediglich um einen Familienstreit ärmer sein.

In alledem liegt das Christkind in der Krippe. Und grinst still vergnügt in sich hinein. Es kann sich das leisten, weil es ja weiss, wer hier wen rettet.

Text: Thomas Binotto