Prekarität – die un­bekannte kleine Schwester der Armut

Caritas-Woche

Prekarität – die un­bekannte kleine Schwester der Armut

Kennen Sie Menschen mit prekärer Arbeit? Sie sind noch weniger sichtbar als armutsbetroffene Personen. Und häufig sind sie sogar systemrelevant.

Corona hat die Menschen in der Schweiz bisher noch nicht massenhaft in die Armut getrieben. Bis jetzt hat das Zusammenspiel der öffentlichen Hand und privater Organisationen funktioniert. Mit der Pandemie haben sich viele Arbeitssituationen jedoch verschlechtert, sind also noch prekärer geworden. Gab es früher die eine oder andere Spitze des Prekaritäts-Eisberges, so ist er nun zwar gewachsen, aber immer noch kaum sichtbar. Unhaltbare Arbeitsverhältnisse nehmen zu in den Tieflohnbranchen. Konkret heisst das: Arbeit auf Abruf, kleinste oder schwankende Pensen, vertraglich kaum geregelt und schlecht oder gar nicht versichert. Das sind «Menschen auf dünnem Eis». Das beschreibt ihr Lebensgefühl eindringlich.

«Kindern erzählt man Geschichten zum Einschlafen. Erwachsenen, damit sie aufwachen.» So heisst ein Sprichwort. Wir erzählen aufrüttelnde Geschichten. Caritas Zürich lässt die Betroffenen zu Wort kommen. Es braucht starke Bilder und authentische Geschichten, um uns zu wecken. Wer sind diese unsichtbaren Menschen in system-relevanten Branchen, aus der Gastronomie und Hotellerie, in der Reinigungsbranche und im «Care»-Bereich, aus der Logistik und bei vielen Einpersonenunternehmen? In einem der reichsten Länder gibt es zu viele mit zu tiefen Löhnen. Folgerichtig schliessen wir aus dieser Betroffenheit, dass wir was tun sollen. Caritas Zürich setzt sich ein für die Mindestlohninitiative. Wenn jemand «systemrelevant» sein soll und mit weniger als 23 Franken pro Stunde eine Familie durchbringen muss, dürfte das für sie oder ihn ziemlich zynisch klingen.

Danke, dass Sie nicht wegschauen und dass wir Ihr Interesse wecken können. So wird aus Prekarität nicht Armut, die sich festkrallt.

Text: Max Elmiger, Direktor Caritas Zürich