Halbherzig in der Klimafrage

Ökumenische Fastenkampagne

Halbherzig in der Klimafrage

Warum es in der Klimafrage nicht nur um die CO2-Bilanz geht, sondern auch um Ethik, erklären die Entwicklungsökonomin Katharina Michaelowa von der Uni Zürich und Bernd Nilles vom Fastenopfer. 

Frau Michaelowa, sind Sie Vegetarierin?
Katharina Michaelowa: Nein, aber nahe dran. Ab und zu gibt’s bei mir einen Cervelat. Aber ich versuche, auf Fleisch zu verzichten.

Tun Ihnen die Tiere leid – oder geht’s Ihnen 
ums Klima?
Michaelowa: Mir tun vor allem die Tiere leid. Beim Klima könnte ich vielleicht noch differenzieren: Ja zum Hühnchen, Nein zum Steak aus Argentinien.

Wenn Sie als Ökonomin Ihr Verhalten analysieren: Warum ist der emotionale Aspekt der Tierliebe wichtiger als der rationale des Klimaschutzes?
Michaelowa: Bilder über Massentierhaltung machen betroffen. Das ist konkret und schockiert. Der Klimawandel hingegen ist abstrakt. Man muss ihn kognitiv verstehen und auf dieser Basis das Verhalten ändern. Trotz der vereinfachenden Annahmen über rationales Verhalten, die wir in der Ökonomie so oft treffen, ist das schwieriger, als wenn starke Emotionen hinzukommen wie bei den Tieren.

Bedeutet Ihnen die Fastenzeit etwas?
Michaelowa: Wir feiern in unserer Gemeinde in Dübendorf eine ökumenische Fastenwoche. Je nachdem, was bei mir beruflich gerade ansteht, faste ich eine Woche komplett. Das tut mir gut. Da bekomme ich den Kopf frei. Manchmal sind es nur Süssigkeiten, auf die ich verzichte. Das dann aber während der ganzen Fastenzeit.

Und Sie, Herr Nilles: Sind Sie Vegetarier?
Bernd Nilles: Eigentlich nicht. Aber fünf bis sechs Tage in der Woche ernähre ich mich vegan, weil ich mit einer Veganerin verheiratet bin und eine vegane Tochter habe. Seit unser Sohn ausge-zogen ist und in Deutschland studiert, kommt weniger Fleisch auf den Tisch. 

Und wenn Sie auf Dienstreise in Brasilien sind: Gönnen Sie sich dann ein saftiges Steak?
Nilles: Wenn ich nach Brasilien fliege, bin ich bereits ein grosser Klimasünder. Da macht ein Stück Fleisch keinen Unterschied mehr. Grundsätzlich zählt jeder kleine Schritt hier wie in Brasilien. Aber es hilft, sich bewusst zu sein, dass der Flug nach Brasilien die wahre Klimasünde ist. Die Relationen zu kennen, ist wichtig, um gute Entscheidungen zu fällen.

Teile der Insel Pari vor der Küste der indonesischen Hauptstadt Jakarta werden wegen des Klimawandels regelmässig vom Meerwasser überflutet. Zum Schutz vor den steigenden Fluten wurden Mangrovenbäume gepflanzt. Bild: Brot für alle.

Vegan bedeutet nicht automatisch klimafreundlich. Ist die Avocado bei Ihnen erlaubt?
Nilles: Die Avocado ist wahnsinnig lecker. Meine Tochter war ein grosser Avocado-Fan. Aber der Anbau ist wasserintensiv – und der Transport kostet CO2. In meinem Leben werden Sie nach wie vor Produkte finden, die keine gute CO2-Bilanz haben. 

Was bedeutet Ihnen die Fastenzeit persönlich?
Nilles: Für uns ist die Fastenzeit eine Zeit des Experimentierens. Wir nutzen sie, um etwas auszuprobieren, um unser Verhalten dauerhaft zu ändern.

Ist das Motto der Fastenkampagne «Klima-gerechtigkeit» eine Antwort auf Greta?
Nilles: Greta und alle Klima-Streikenden machen einen super Job. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass die Klimafrage oben auf der politischen Agenda steht. Fastenopfer hat sich aber schon vor Greta fürs Klima engagiert – bereits in den 1980er-Jahren. Seit 2000 beobachten wir die Klimaverhandlungen. Mit der Kampagne zeigen wir: Wir meinen es ernst. Deswegen geht es bei uns auch die nächsten vier Jahre um Klimagerechtigkeit.

Eine Familie in Burkina Faso.

Was ist Klimagerechtigkeit? 
Nilles: Klimagerechtigkeit meint mehr als nur CO2 zu reduzieren. Klimagerechtigkeit heisst: auch eine historische Verantwortung zu übernehmen für den Klimawandel. Die Industriestaaten haben durch die Industrialisierung den Klimawandel verursacht. Klimagerechtigkeit bedeutet für mich auch, die besonders Verwundbaren in den Blick zu nehmen: Inseln, die wegen des Klimawandels untergehen werden. Oder Menschen, die wegen des Klimawandels nichts mehr anbauen können und ihr Land verlassen müssen.

Was triggert das Wort Klimagerechtigkeit bei Ihnen als Ökonomin? Eigentlich geht es doch um CO2-Reduktion – und nicht um die ethische Frage nach Gerechtigkeit.
Michaelowa: Es geht um beides. Wir müssen global die CO2-Emissionen reduzieren – und zwar so schnell wie möglich auf null. Wer dazu wie viel beitragen soll, ist eine Verteilungsfrage – und damit beschäftigt sich die Ökonomie. Die armen Länder haben zur Klimaveränderung kaum beigetragen, aber leiden darunter noch viel mehr als wir hier. Dabei spielen neben der Erwärmung auch zunehmende klimatische Extremereignisse und schwankende Niederschläge eine grosse Rolle. Lange Trockenperioden führen dazu, dass die Saat kaputtgeht und die Betroffenen nichts mehr zu essen haben. Das kann die Menschen zur Migration zwingen. Gerade in den ärmsten Ländern sind die Probleme besonders gross – diese haben aber nur wenig Möglichkeiten, gegen den Klimawandel vorzugehen. Diese Faktoren müssen auch in ökonomische Überlegungen einbezogen werden. 

Warum ist Klimagerechtigkeit sonst noch wichtig?
Michaelowa: Sie erhöht Verbindlichkeit. Gerechtigkeit ist ein Gut, das Gesellschaften zusammenschweisst und vielleicht auch diejenigen zur Mithilfe bewegen kann, bei denen die Schäden nicht so hoch sind. Ausserdem führt der Gerechtigkeitsgedanke dazu, dass wir uns um die weiteren Entwicklungschancen jedes einzelnen Menschen Gedanken machen müssen. Wir können nicht einfach sagen: In der kleinen Schweiz tragen wir zum globalen CO2-Ausstoss eh nicht viel bei, sollen mal die Inder reduzieren. Pro Kopf sind die indischen CO2-Emissionen nämlich um ein Vielfaches geringer als in der Schweiz.

Text: Raphael Rauch, kath.ch