Winterruhe

Glaubens-Perspektiven

Winterruhe

Unter den Schuhen knirscht der Schnee. Eine schwere und doch seidig-leichte Schicht liegt auf jedem Ast und jedem Halm. 

Die winterliche Ruhe lässt eine ungeahnte Weite spüren. So fühlte es sich an, als ich vor kurzem mit meinen beiden Kindern durch den tief verschneiten Wald ging, um auf dem Thurgauer Seerücken zu schlitteln. Gerade erst zwei Wochen zuvor war meine Mutter gestorben, also die Grossmutter meiner Kinder. 

Das Bild des verschneiten, ruhenden Waldes passt diesbezüglich gut. «Du Papa, blühen die Sträucher wieder einmal – oder sind sie jetzt tot?» Mein sechsjähriger Sohn will vieles wissen in dieser Zeit. Ob wir – also seine Eltern – auch bald sterben werden, ob das Grosi wieder zurückkommen und neu geboren werden wird, und so weiter. Anders als beim Tod meines Vaters vor sechs Jahren spricht meine Tochter hingegen nicht viel über ihr Grosi – und lässt auch die Gespräche mit ihrem kleinen Bruder fast nicht zu. Das Thema Tod macht ihr im Moment zu schaffen. Eine Woche vor meiner Mutter ist ihr geliebter Zwerg unerwartet gestorben, eines unserer Kaninchen. Das alles ist ihr wohl einfach zu viel. Manchmal kann man nicht sprechen, da muss man schweigen. Aushalten, einen anderen Weg suchen. Da ist es eine gute Möglichkeit, zusammen etwas zu unternehmen und dabei das Vertrauen in das Leben zu stärken. So gehen wir also schlitteln, laufen durch den Wald oder spielen am Abend alle zusammen noch eine Runde «Pictures». Unsere Kinder sollen spüren, dass auch bei Lebensbrüchen und Krisen nicht einfach alles wegbricht. Damit wollen wir ein Grundvertrauen stärken, dass das Leben – dass die Liebe – stärker ist als der Tod. 

Vertrauen und Sicherheit brauchen unsere Kinder gerade besonders viel, das spüren wir. So bauen die beiden besonders innig aus Decken, Tüchern und Kissen Hütten, in die sie sich zurückziehen und einkuscheln können. Auch unter dem Bett unseres Kleinen haben wir eine Höhle eingerichtet, in die er sich zurückziehen kann. Das «Nest» zu Hause wird im kleineren Nest geradezu verdoppelt und bietet einen sicheren Hort. Manchmal bedauere ich ein wenig, dass wir nicht einfach über alles sprechen können. Und doch spüre ich deutlich, dass es auch eine andere Sprache gibt, die im Moment Raum einnimmt. Diese ist einfach bildlicher und emotionaler. 

Inzwischen hat es den eingangs erwähnten Schnee wieder weggewaschen. Statt Schnee liegen nun ganze Seen von Wasser auf den Wiesen. Und zwischendurch scheint die Sonne. Die Vergänglichkeit und der stete Wandel werden in dieser Übergangszeit gut sichtbar. «Papa, wann sehen wir Grosi wieder?» – «Komm, lass uns draussen etwas zusammen unternehmen – und Grosi in unseren Herzen mitnehmen!» Und wer weiss, vielleicht machen wir zusammen noch einen kurzen Besuch auf ihrem Grab und legen eine Blume als Zeichen unserer Liebe hin, die stärker ist als der Tod.

Text: Daniel Ritter