Physik am Familientisch

Editorial

Physik am Familientisch

Manchmal bewegen sich unsere Familientischgespräche in eine mathematische oder naturwissenschaftliche Richtung, bei der ich nicht mehr mithalten kann. 

Ich verliere den Faden und klinke mich innerlich aus – freue mich aber durchaus über die diesbezüglichen Interessen meiner Lieben. Manchmal horche ich aber auf und bin fasziniert, weil die Naturwissenschaft so existentielle Fragen stellt und erstaunliche Antworten findet.

Wir haben beispielsweise das Gefühl, dass ein kalter Eiswürfel die lauwarme Limonade kühlt, aber in Wirklichkeit hat die Limonade das Eis aufgewärmt, wodurch sich die Temperatur im Glas insgesamt angleicht und kühler wird. Die Bewegung geht von warm zu kalt, sagt das physikalische Gesetz der Entropie: Die sich schneller bewegenden Moleküle in der warmen Limonade treffen auf die sich langsam bewegenden Moleküle im kalten Eis und geben dabei einen Teil ihrer Energie ab, so dass die Moleküle im Eis sich schneller bewegen. Die Eiskristall-Struktur löst sich auf und geht in die ungeordnete Bewegung der Wassermoleküle über: das Eis schmilzt.

Umgekehrt ist unmöglich: die sich langsam bewegenden Moleküle im Eis können nicht Energie an die sich schnell be-wegenden Moleküle in der warmen Umgebung abgeben, weil sie statistisch gesehen seltener auf diese treffen – weil sie eben langsamer sind.

Wärme fliesst immer ins Kühle, um das dort Erstarrte aufzubrechen, in Bewegung zu bringen, zu erwärmen. Genauso ist es mit der Liebe. Sie bleibt nicht, wo sie ist, sondern bewegt sich dorthin, wo es kalt und starr und unbeweglich ist. Dann bringt sie nicht nur Wärme, sondern auch etwas Unordnung. Aus dieser ungeordneten Bewegung ergeben sich neue, kreative Lösungen – der Weg in die Zukunft öffnet sich.

Das wünsche ich mir immer wieder für mein Leben, für meine Familie – und jetzt gerade besonders für unser Bistum.

Text: Beatrix Ledergerber