Frieden finden

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Frieden finden

Corona-müde. Oder auch sonst: Stress, Unruhe, Sinnlosigkeit. Das Gebet mit dem Rosenkranz ist eine alte und bewährte Form, von innen her Frieden zu finden.

Eine Patientin liegt in ihrem Spital-Bett und wartet auf die Diagnose. Hat sie die Krankheit? Sie wartet. Was würde das bedeuten? Sie wartet. Sie beginnt zu beten: «Vater unser im Himmel … Gegrüsst seist du Maria, voll der Gnade …» Eine andere Szene: Corona. Eine ganze Gesellschaft lebt von einem Tag auf den anderen mit dem Virus. Home-Office. Lockdown. Wenige oder keine Berührungen. Reduzierte Begegnungen. «Momentan, wo ja sowieso viele Dinge wegfallen, nehme ich mir wirklich jeden Tag Zeit», sagt Klaudia Fischer. Wofür? Für den Rosenkranz. Warum? «Das Beten damit ist einfach besonders kraftvoll gegen diese deprimierende Lage. Ich fühle mich dann wie in einem Refugium, wie an einem Rückzugsort gegen meine Anspannung und die der anderen.»

Der Rosenkranz: Eine Kette mit 59 Perlen für das meditative Wiederholen von einzelnen Gebeten und Gebetssätzen. «Rosenkranz» heisst aber auch das Gebet selbst, das entlang dieser Kette als vorgegebener Rhythmus gesprochen wird. Klaudia Fischer, Zahnärztin und Mutter von zwei Töchtern, betet den Rosenkranz regelmässig. Manchmal täglich, manchmal mit der jüngeren Tochter zusammen. Die 45-Jähirge kennt den Rosenkranz seit der Kindheit, als sie die Grossmutter in der Heimat Kroatien beim Beten erlebt hat. Den Rosenkranz beten, das heisst: 53 Mal das «Gegrüsst seist du Maria», 5 Mal das «Vater Unser», ein Mal das Glaubensbekenntnis, dazwischen immer wieder das «Ehre sei dem Vater». Gebete, die man lernen kann. Und ein Rhythmus, in den man sich einfinden kann.

Alois Bürgler stellt Rosenkränze her – mit Monstranzbohnen
Alois Bürgler stellt Rosenkränze her – mit Monstranzbohnen

Es ist eine Familientradition, die Alois Bürgler aus Ibach SZ von seiner Mutter übernommen hat. Die von ihm hergestellten Rosenkränze legt er zum Mitnehmen aus, zum Beispiel im Kloster Disentis. Er fertigt sie aus Monstranzbohnen, die häufig als Perlen für Rosenkränze verwendet werden: wegen der geheimnisvollen Zeichnung auf der Bohne, die an eine Monstranz erinnert – jenes Gefäss, in dem in katholischen Kirchen die gewandelte Hostie den Menschen zur Verehrung gezeigt wird.

Uralt ist die Tradition des wiederholenden Gebets, das in die Meditation führt. Verbreitet ist es auch in vielen Religionen und spirituellen Strömungen. Auffallend ist, dass sie immer wieder vom «Frieden» erzählen, jene Menschen, die mit einer Gebetskette in der Hand zu beten gelernt haben. «Wenn ich hingegen ein kurzes Gebet bete, habe ich noch nicht erlebt, dass ich diesen tiefen Frieden finde», sagt Klaudia Fischer. Via Facebook meldet sich Karl Arnold – auf die Frage, wer den Rosenkranz bete. Der Organist und Klavierlehrer erzählt: «Der Körper kommt dabei mit dem Geist in Resonanz. Ich entdecke bei diesem Gebet, dass ich nicht immer in gleich guter Stimmung bin. Also komme ich mir dabei auch selbst näher. Ich komme immer wieder auf dieses schlichte Gebet zurück, das den Menschen irgendwie demütiger werden lässt.» Demütig zu werden, davon erzählt auch Klaudia Fischer. Was das für sie heisse? «Ich werde mir bewusst, dass ich einfach Mensch bin und von der Gnade Gottes abhängig.» Demütigend erlebe sie das nicht: «Im Gegenteil, ich kann mich selbst abgeben, muss nicht alles lösen.»

Es gibt manche Vorbehalte gegenüber dem Rosenkranz und auch kritische Anfragen: Es sei ein «langweiliges» und langatmiges Gebet, immer wieder dasselbe, und ihn zu beten, dauere schlichtweg zu lange. Oder die Frage nach dem Frauenbild, das im Blick auf Maria – die demütige Mutter Gottes – darin vermittelt werde. Kritisch ist mitunter auch der Blick in die Geschichte. Bis heute gibt es traditionell katholische Orte, an denen ein militärischer Sieg dem treuen Rosenkranzgebet zugeschrieben wird. Konkret: Christlich geprägte Länder besiegten muslimisch geprägte Länder, damals im 16. Jahrhundert. In manchen Kirchen erinnert eine Gedenktafel daran, dass dieser Sieg der Gottesmutter Maria und dem Rosenkranzgebet der Menschen zuzuschreiben sei. Angesprochen darauf, wie Derartiges auf ihn wirke, sagt Imam und Islamwissenschaftler Muris Begovic: «Das sind Aussagen, die im Kontext zu verstehen sind, und so sind sie für mich auch nachvollziehbar.» Bis heute fehlt allerdings an derartigen Orten die sichtbare Einordnung in diesen Kontext und damit auch die Revision solcher Aussagen.

Eine christliche Tradition, in der der Rosenkranz nicht zu Hause ist, ist die reformierte. Warum? «Reformierte Tradition ist individuell geprägt», sagt Grossmünster-Pfarrer Christoph Sigrist, «Rosenkranz ist für mich mit der katholischen Prägung von Frömmigkeit verbunden.» Er erinnert damit an einen wesentlichen Aspekt von Gebet, nämlich: frei zu sein, in jeder Situation eigene, persönliche Worte vor Gott bringen zu dürfen. Etwas, das durch die Reformation durchaus erkämpft werden musste, in Abgrenzung zur römisch-katholischen Kirche. Sinn hat das meditative Wiederholen für ihn dennoch: «Die Regelmässigkeit und die vorgegebene Gebetsstruktur sind hilfreich. Für mich ist da das Unser Vater das zentrale Gebet geworden.» Darin ist eine weitere Anfrage versteckt, die die reformierte Theologie – und auch die katholische – an den Rosenkranz stellt: Steht dabei Maria nicht zu sehr im Mittelpunkt? So oft wird das «Gegrüsst seist du Maria» wiederholt – und weniger das in der Bibel überlieferte «Vater Unser». Sind eine Beterin und ein Beter nicht in Gefahr zu meinen, wie zu Gott – so könne man einfach auch zum Menschen Maria beten? Eine theologisch berechtigte Sorge, auf die auch Päpste immer wieder antworteten. Ihre Argumentationslinie: Der Rosenkranz ist ein Gebet, das von Maria ausgeht und zu Jesus hinführt. Der Betende bleibt nicht bei Maria, er oder sie geht mit Maria zu Jesus und damit mit den eigenen Anliegen zu Gott.

Genau das ist eine innere Bewegung, die Klaudia Fischer beim Beten vom Rosenkranz fasziniert. «Als Frau und als Mutter steht mir Maria schon sehr nahe. Sie ist für mich ein Vorbild und ich sehe sie auch als Mittlerin: so als würde sie mich zu Gott und zu Jesus begleiten, und dort bin ich geborgen.» Klingt sehr schön und bleibt für jemanden, der das nicht kennt, wohl ziemlich abstrakt. Ob sie das näher beschreiben könne? «Es sind vor allem Emotionen: Wärme, Frieden, Ruhe. Dieses Loslass-Gefühl: Ich habe jetzt losgelassen. Und auch das Gefühl von Geliebtwerden, Beschützt- und Gehaltenwerden.» Aber: Maria – die demütige Mutter als Vorbild? Klaudia Fischer sagt, sie verstehe sich als emanzipierte Frau und habe damit kein Problem. «Maria hat sich ja nicht Josef – dem Mann – unterworfen. Eher habe ich das Gefühl, dass sie die starke Kraft war, die gesagt hat, wo es langgeht.» Vertrauen und Zuversicht würden daraus entstehen, dass auch Maria die schwierigen Situationen ihres Lebens mit Gottvertrauen meistern konnte.

Ähnliches scheint der Theologe Romano Guardini erlebt zu haben, wenn er schreibt: «Wer mit dem Rosenkranz vertraut geworden ist, dem wird es wie ein stilles, verborgenes Land, in das er gehen und wo er ruhig werden kann.» Vielleicht ist das Rosenkranz-Gebet ja gerade eines für die unruhigen Momente und Zeiten. Für solche wie momentan.

Text: Veronika Jehle