«Die mit dem Himmel im Haar»

Im Züripiet dihei

«Die mit dem Himmel im Haar»

In einem Sprechstück von Jacqueline Keune tritt Maria mit einer Frau von heute ins Gespräch. 

In der Kirche proben zwei Schauspielerinnen das Sprechstück «Die mit dem Himmel im Haar». Eine Frau von heute steht aus den Kirchenbänken auf und stellt ihre Anfragen an Maria, die hinter dem Hochaltar hervortritt. Sie erscheint hier nicht als thronende Himmelskönigin, nicht als verklärte Jungfrau, nicht als ferne Mutter Gottes, sondern als Frau, die das Leben und die Erfahrungen ungezählter Menschen ihrer und unserer Zeit kennt. Und als die, die es mit Jesus von seinem ersten bis zu seinem letzten Erdentag geteilt hat. 

«Mich hat vor allem die biblische Maria interessiert», sagt Jacqueline Keune, die Autorin des Stücks. Allerdings: «Die Bibel berichtet sehr nüchtern über diese Geschehnisse.» Daher fragte sie sich: «Wer ist diese Maria? Was ist das für eine Frau, die zu so einem unerhörten Plan, vom Engel verkündet, Ja sagen kann? Die unter unwürdigsten Umständen eine Geburt erlebt und dabei an ihre Grenzen kommt? Die aushalten konnte, wie das eigene Kind lebendig an ein Holz genagelt wird?» In all ihrer Arbeit, im Austausch mit Frauengruppen, beim Gestalten von Gottesdiensten, oder eben beim Schreiben eines Stücks, möchte sie den biblischen Figuren «etwas von ihren Gefühlen zurückgeben», sagt die freischaffende Theologin in schönstem Freiburger Sensler-Dialekt. Die grundlegenden Erfahrungen von Liebe, von Verlust und Trauer, die seien in den Geschichten der Bibel und in unserem eigenen Leben sehr ähnlich.

Als Kind habe Maria für sie zum «kirchlichen Mobiliar» gehört, durchaus positiv gemeint. Ihre Grossmutter hatte eine Statue im Sternenkleid, die sich wundersam drehen konnte, wenn man sie seltenerweise mit einem speziellen Schlüssel in Bewegung setzte. 

Da war Maria so etwas wie ein «Star» für das Kind, etwas Besonderes, aber Ausdruck einer eigenständigen himmlischen Person: mit bestimmten Anliegen ging man zu ihr, mit anderen zu Jesus oder Gott-Vater. Das in der Kirche oft gebetete «Gegrüsst seist du, Maria» habe ihr immer den Tod vor Augen gehalten: «Bitte für uns, jetzt und in der Stunde unseres Todes». Und das oft gesungene Lied «Maria, breit den Mantel aus, mach Schutz und Schild für uns daraus ...» habe in seiner Anschaulichkeit und Konkretheit zum Mädchen gesprochen. Die Feministische Theologie und die Bibelarbeit hätten dann das in ihrer Kindheit kirchlich übliche Marienbild «gründlich revidiert». Die ausschliesslich dienende, einen bestimmten Zweck erfüllende Maria habe sich in eine deutlich eigenständigere, auch kämpferische Maria verwandelt. 

«Im Magnifikat kommt uns eine Maria entgegen, die sich für gesellschaftliche Veränderungen einsetzt, die sagt: ‹Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen› (Lk 1,52)». Keune liest die Bibel «nicht wie ein über zweitausend Jahre altes Buch», sondern als Texte mit einer Botschaft «für uns heute». 

Auch Maria stelle sich, wie ihr Sohn, an die Seite der Armen – der arm Gemachten, sagt Jacqueline Keune. «Ich habe immer beides gekannt und bewohnt: das Wirkliche dieser Welt und das Wundervolle», sagt Maria im Sprechstück: «Mitunter, in Momenten, habe ich verstanden, was der Engel damals gemeint hatte, und gespürt, wie Jeschua zwar mein Sohn, aber zugleich auch der Sohn eines Anderen war.» Diese tiefe Verbindung zwischen Gott und Welt, die in Maria Wirklichkeit war, diesen Glauben möchte Keune «fruchtbar machen für die Veränderung von Zuständen des Unrechts». 

Das Sprechstück, das im Rahmen der «Langen Nacht der Kirchen» am 28. Mai aufgeführt wird, sei «angeregt durch die Bewegung Maria 2.0», steht im Flyer. Welchen Bezug hat die Autorin zu dieser Bewegung? «Äussere Bezüge gibt es nicht», sagt die Luzerner Theologin, sie habe keine persönlichen Kontakte zu den dort engagierten Frauen. «Aber innere Bezüge gibt es natürlich schon. Das Grundanliegen von Maria 2.0, die volle Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche, bewegt und beteiligt mich schon seit 40 Jahren ...». 

Allerdings überkommt sie angesichts des Themas auch «eine grosse Müdigkeit». Bereits als junge Frau und später im Theologiestudium habe sie sich dafür engagiert, habe etwa die Professoren immer wieder darauf gestossen, die Diskussion mit anderen Studentinnen angerissen. Später war sie in der Allianz «Es reicht!» mit dabei, ebenso an den Protestmärschen gegen Bischof Haas und gegen Bischof Huonder, habe viele Texte des Widerstands mit geschrieben ... «Es braucht eine umfassende Revision der Grundlagen: Im Kirchenrecht muss verbindliche Rechtsgleichheit von Frauen und Männern festgeschrieben werden. Solange das nicht verfasst ist, werden wir nie wirklich gleichberechtigt sein.» 

Im Laufe der Zeit hat sich der Blickwinkel von Jacqueline Keune verändert: «Ich finde, dass wir aufhören müssen mit diesem ständigen Starren auf die Bischöfe, von denen her wir Veränderungen erwarten. Vielmehr sollten wir an unserer Freiheit als Töchter Gottes und unserem Selbstbewusstsein arbeiten.» Und überhaupt, sagt sie leidenschaftlich: «Es muss uns immer auch um gesellschaftliche Veränderungen gehen: wenn ich in diese Welt schaue, wo es Krieg, Hunger, eine Klimakatastrophe gibt, wo die Lebensgrundlagen von Menschen zerstört werden, wo Millionen als Flüchtlinge herumziehen, da frage ich mich: Wo ist in dem allem drin der Ort der Kirche? Was kann ich persönlich tun?» 

Deshalb engagiert sie sich seit elf Jahren als Freiwillige im Treffpunkt Stutzegg in Luzern, wo Menschen, die von materieller Armut betroffen sind, psychisch beeinträchtigt oder krank und ohne soziales Netz eine offene Stube finden. «Dafür schlägt mein Herz am stärksten. Aber immer auf dem christlichen Boden. Ohne die Vision einer anderen Welt, wie sie in Maria und Jesus von Nazaret aufgeschienen sind, wäre vieles nicht durchzutragen», sagt sie. 

Das wöchentliche Gebet in der Sentikirche Luzern, zu dem sie sich seit vielen Jahren mit einer kleinen Gruppe trifft, verwurzelt sie immer wieder neu in diesem Glauben und gibt ihr Kraft für den Alltag. «Das war meine Motivation, um Theologie zu studieren, und das wird bis zu meinem letzten Atemzug die Motivation für mein Handeln sein: Jesus von Nazaret. Er hat mich immer fasziniert und inspiriert, er ist die Spur und die Leitplanke meines Lebens!» Wie die junge Frau im Sprechstück sagt: «Maria von Nazaret hat nicht nur Ja gesagt. Maria von Nazaret hat auch Nein gesagt. Ihr Ja hat den Himmel auf die Erde gezogen. Ihr Nein hat die Mächtigen in die Schranken gewiesen.»

Text: Beatrix Ledergerber