Verhinderung einer Sekte

Editorial

Verhinderung einer Sekte

Pfingsten hat die ersten Christinnen und Christen aus der Isolation geholt. Diesen schwungvollen Antrieb zur Offenheit brauchen wir heute noch. Deshalb feiern wir Pfingsten als Hochfest.

Ich weiss: Genau so steht es nicht in der Apostelgeschichte. Aber wie die Jüngerinnen und Jünger nach der Entrückung ihres Christus unter sich sitzen und beten, das ist die Beschreibung eines in sich geschlossenen Kreises, abgeschottet vom unheiligen Rest der Welt.

Am jüdischen Pfingstfest jedoch werden sie von einem Geist erfasst, der jeden Rahmen sprengt und sie nach draussen treibt. Plötzlich sprechen sie so verständlich, dass alle sie verstehen. Und die Apostelgeschichte beschreibt, wie sich Menschen aus aller Welt wundern: «Wie kommt es, dass wir sie in unserer Muttersprache reden hören?»

Wir feiern Pfingsten viel zu klein, wenn wir die Gründung der Kirche feiern. Auch wenn wir die Aussendung der Christen in die Welt feiern, ist unser Feiern kurzsichtig. An Pfingsten will uns eine alles umwälzende Dynamik ergreifen. Sie will uns dorthin treiben, wo wir noch nie waren. Sie will, dass wir Christen in der Welt ankommen. 

Das ist so revolutionär, dass selbst Petrus in der allerersten Pfingstpredigt es nicht ganz fassen kann – und wir es bis heute nie ganz fassen können. Wenn nämlich der Geist ungehindert wirken darf, dann fegt er sowohl das «Wir-in-der-Kirche» wie das «Sie-da-draussen» hinweg. In letzter Konsequenz löst Pfingsten jede Einseitigkeit auf. Christinnen und Christen sind dann nicht mehr für die Welt da. Sie stehen der Welt nicht mehr als etwas Besonderes gegenüber. Kirchesein wird zum Übergangsstadium.

Vom Pfingstgeist erfasste Menschen sind von dieser Welt, in dieser Welt und für diese Welt. Es geht nicht länger um «Wir» und um «Sie». Es geht um «Uns». 

Wir Christinnen und Christen glauben, dass im «Uns» auch «Unser Vater» steckt. Aber selbst dieser Vater ist so sehr von dieser Welt, dass er mit uns ist. Pfingsten ist die ebenso geistvolle wie atemberaubende Utopie einer radikalen Einheit in ebenso radikaler Offenheit.

Text: Thomas Binotto