Alte und neue Freundschaften

Leben in Beziehung

Alte und neue Freundschaften

Mich erwartet eine Zahlenkombination, die für mich derart neu ist, dass ich sie noch gar nicht in meinen Wortschatz aufnehmen mag.

Dennoch will ich die ersten Schritte in das Neuland bei einem angemessenen Fest mit Musik und Tanzen machen. Aber wer soll dabei sein? 

Ganz klar: Die alten Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter aus meinen Abiturzeiten. Mit ihnen feierte ich viele Jahre zwischen 15 und 30 Jahren regelmässig nächtelang, machte Musik, fuhr in die Ferien, teilte Freud und Leid in Ausbildung, Studium, Liebe und Familiengründung.

Bis ich dann nach Zürich migrierte und geografisch weit weg war. Ich bin traurig, dass wir nicht häufiger zusammenkommen, finde es aber auch wunderbar, dass wir jedes Mal, wenn wir uns sehen oder hören, ganz einfach weitermachen mit der Freundschaft.

Als ich vor einigen Tagen die etwas schleppende Stimme meines alten Kumpels auf dem Handy hörte, spät in der Nacht, an seinem runden Geburtstag, da fühlte ich mich wie damals mit 20. Damals beobachteten wir gemeinsam an einem Seeufer den Sonnenaufgang, die Schuhsohlen verkohlt vom Lagerfeuer, umgeben von Freundeskreis, leeren Bierdosen und Weinflaschen. Hach, war das schön! 

Ebenfalls auf die Gäste-Liste meiner Party gehören die «Neuen», also die aktuellen Freundinnen und Freunde in Zürich. Interessante, tolle Menschen, die aber alle dasselbe Problem haben: mich, die Kerstin.

Ich schaue heute genauer hin, bin bei meinen neuen Freundschaften wählerischer, kritischer. Da entdecke ich neue Seiten an mir, wo ich mich doch gern als locker, flexibel und unkompliziert sehe.

Wie sich meine neue Anspruchshaltung äussert? Beispielsweise so: Ein von mir gewünschter Kaffee-Treff mit einer befreundeten Ärztin, die wirklich immer mega busy ist, bleibt nach langem Handy-hin-und-her-Geschreibe ohne Termin. Obwohl ich daran selbst nicht unschuldig bin, nehme ich es persönlich und stelle mich betupft selbst in Frage: Will sie mich etwa nicht sehen?!?

Oder ich werde auf einem anderen falschen Fuss erwischt: Ein lang geplanter Skitag mit einer Freundin wird formvollendet, langfristig und gut begründet per persönlichem Telefonat abgesagt. Und ich? Bin beleidigt und traurig, schimpfe sogar vor meiner Tochter über diese Freundin. Die allerdings zuckt nur die Schultern: «Alles Luschen, deine Freundinnen.» Was mir natürlich wieder entschieden zu weit geht: «Das stimmt doch gar nicht!»

Zurück zu meiner – richtig vermutet – grossen Geburtstagsparty. Sie gedeiht dank des Corona-Mist-Zeugs nicht weiter als bis zur Gästeliste und zum Grübeln über alte und neue Freundschaften. Was bleibt? Meine neue Dünnhäutigkeit. Ist wohl das Alter. Diese unsägliche Zahlenkombination. Ich werde 50. Jetzt ist es raus!

Text: Kerstin Lenz