Verändern heisst oft Trauern

Glaubens-Perspektiven

Verändern heisst oft Trauern

Gott sei Dank gibt es Veränderungen, die wir selbst wählen und gestalten, über die wir uns freuen oder die wir lange ersehnt haben. 

Gott sei Dank gibt es diese wunderbaren Veränderungen, die uns – zumindest zeitweise – glücklich machen.

Es gibt aber auch die Veränderungen, die wir uns nicht aussuchen. Sie können zornig machen, hässig, verzweifelt, verletzt und verletzlich, verunsichert, ohnmächtig, ausgeliefert und manchmal lassen sie uns sogar resignieren. Dem Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg wird der Gedanke zugeschrieben: «Wir tun gut daran, die Veränderung, der wir doch nicht entgehen, auch zu lernen.» Das ist anspruchsvoll! Es bedeutet, zu akzeptieren, dass eine unfreiwillige Veränderung ansteht oder bereits im Gange ist. Sie zu akzeptieren, heisst dann nicht, sie gutzuheissen, sondern sie anzunehmen – das ist eine wichtige Unterscheidung, finde ich.

Veränderungen, denen wir doch nicht entgehen, können Prozesse in uns auslösen, die an Trauerprozesse erinnern. Die «Wellen» der Trauer überfallen uns dann, ehe sie für ein paar Stunden vielleicht ruhiger werden, um uns wieder neu zu erfassen – auch wenn wir nicht (mehr) damit rechnen. 

Sinnvoll scheinen mir die sogenannten Traueraufgaben, die William Worden formuliert und aufgeschrieben hat. In Anlehnung an diese Traueraufgaben ist auch bei den schmerzhaften, nicht gewollten Veränderungen die erste Aufgabe: zu realisieren, dass es so ist, wie es ist. Dieses Realisieren ist ein schmerzhafter Schritt, der manchmal viel Zeit braucht. Denn er bedeutet ja, nicht mehr gegen den Schmerz und all die anderen Gefühle zu kämpfen. Die zweite Traueraufgabe ist direkt mit der ersten verbunden: die Vielfalt und die Heftigkeit der Gefühle zu durchleben, was manchmal müde macht, manchmal leer, manchmal hässig. Die dritte Aufgabe nach William Worden übersetze ich mit «Weitergehen, Schritt für Schritt». Starke Erschütterungen führen häufig auch zu Veränderungen im privaten, familiären und beruflichen Umfeld. Das erschüttert erneut: als wäre es nicht schwer genug, die Veränderung zu realisieren und sie als Realität annehmen zu müssen; als wäre es nicht mühsam genug, mit so heftigen und erschütternden Gefühlen konfrontiert zu sein und diese durchleben zu müssen. Häufig kommt dann hinzu, dass sich auch das Umfeld verändert, dass sich zum Beispiel manche Kolleginnen oder Freunde zurückziehen. Dann braucht es das wirklich, Schritt für Schritt für Schritt weiterzugehen. Die vierte Aufgabe macht dann wieder zuversichtlich. Das Leben ordnet sich neu, Aufgaben und Beziehungen werden wieder stabiler, die Veränderung ist vollzogen. Hier sind wir dann «im Neuen» angekommen, und das Leben kann auch wieder Alltag werden.

Aber eben – Gott sei Dank – es gibt auch die selbst gewählten Veränderungen, die uns glücklich machen. Zumindest zeitweise.

Text: Helga Kohler-Spiegel