Menschenrechte müssen für alle gelten

Editorial

Menschenrechte müssen für alle gelten

Menschenrechte müssen für alle gelten – oder sie gelten für niemanden mehr wirklich. Zum Flüchtlingssonntag frage ich mich: Welche Rechte geben «wir» jenen, die auf der Flucht «bei uns» gelandet sind?

Manchmal denke ich, dass jede und jeder zum Flüchtling werden könnte, sogar überraschend schnell. Der Gedanke an eine Flucht ist mir selbst biographisch nicht fern. Mein Grossvater, der heute noch lebt, in Wien, musste als Junge fliehen. Als sogenannter Karpatendeutscher wurde er aus der heutigen Slowakei vertrieben und kam nach Österreich.

Ich kann mich mit meinem österreichischen Pass sicher fühlen: Die Zugehörigkeit gibt mir Rechte und Pflichten, ich habe eine Identität und Freiheiten. Die Geschichte meiner Familie zeigt mir allerdings, wie fragil Identitäten sein können und wie kurzlebig sogenannte Sicherheiten.

Wer sagt denn, wer zu einer Nation gehört? Wer bestimmt, wer sich einem Volk zurechnen darf? Ist es wirklich der Pass? Die bisherige Aufenthaltsdauer im Land? Einen Wohnsitz zu haben, zu arbeiten, Steuern zu zahlen?

Die Kriterien, wer als «Inländer» und wer als «Ausländer» welche Rechte hat, sind bei genauer Betrachtung abhängig von der Definition. Die Definition bewahren und die Definition verändern letztlich jene, die an der Macht sind. Da kommt meine eigene Verantwortung ins Spiel. Ich kann wählen und abstimmen, zumindest in jenem Land, dessen Pass ich besitze. 

Da ich mir morgen nicht überlegen möchte, in welches Land ich übermorgen fliehen würde – will ich mich lieber heute dafür einsetzen, dass Demokratie und Menschenrechte eine Zukunft haben: für alle. Denn je mehr sie für alle gelten, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie bleibend auch für mich selbst gelten.

Text: Veronika Jehle