Abtauchen in die Taufe

Glaubens-Perspektiven

Abtauchen in die Taufe

Ein nackter Säugling, festlich gekleidete Erwachsene, eine grosse Plastikwanne: Die Fotos von orthodoxen Taufen haben sich mir eingeprägt. 

Zu sehen waren sie vor nunmehr zehn Jahren im Stadthaus in einer Ausstellung über «Ostkirchen in Zürich». Die Bilder von christlichen Migrantinnen und Migranten aus Nordafrika, dem Nahen Osten und Osteuropa führten vor Augen, wie kurzsichtig es ist, nur von «katholisch» und «reformiert» zu sprechen. Das dreimalige Eintauchen in ein Taufbecken ist um einiges intensiver als das blosse Benetzen der Stirn mit zuweilen homöopathisch wenigen Wassertropfen. Ein solches Untertauchen erinnert an die biblischen Ursprünge der Taufe aus dem jüdischen Reinigungsbad. Das Wasser symbolisiert beides, den Untergang, ja das Ertränken des «Alten» gleichermassen wie das Auftauchen und Ins-Leben-Kommen des «Neuen». 

Untertauchen und Auftauchen: Die erste Episode aus Jesu Leben, die in allen vier Evangelien überliefert wird, ist seine Taufe im Jordan. Vorher bietet jedes Evangelium einen eigenen «Vorspann»: Am philosophischsten ist er im Johannes-Evangelium geraten, erst in Vers 29 tritt Jesus als Person auf, und zwar direkt zu seiner Taufe. Am trockensten fängt das Markus-Evangelium an, mit einer knappen Vorstellung des Täufers, die schon in Vers 9 ohne Umschweife in die Taufe Jesu mündet. Ganz anders beginnen die Evangelien von Matthäus und Lukas mit ausführlichen Geschichten über die Geburt Jesu. Seine Taufe als Erwachsener kommt vergleichsweise spät: bei Matthäus und Lukas jeweils im 3. Kapitel. Lukas erzählt sogar noch von Geburt und Ergehen Johannes' des Täufers und verknüpft diesen schon pränatal mit Jesus. 

Die teils grossen Differenzen zwischen den vier Evangelien fallen allerdings zu minimalen Unterschieden zusammen, sobald sie von Jesu Taufe erzählen. Übereinstimmend berichten sie von der Erscheinung einer Taube über Jesus und stellen ihn nach seiner Taufe als «Gottes Sohn» vor. Geschah dies durch eine Stimme aus dem Himmel, wie Matthäus, Markus und Lukas berichten? Oder bezeugte es nur der Täufer, wie das Johannes-Evangelium nahelegt? 

Die Variante mit der Stimme fasziniert mich. Wie sie wohl geklungen hat: donnernd, flüsternd, singend? Vor allem aber hat die Stimme kein Geschlecht, nicht einmal indirekt schreibt sie Gott ein Geschlecht zu. Sie sagt weder «Ich bin dein Vater» noch «Ich bin deine Mutter», sondern «Du bist mein geliebter Sohn». Jesus wird als «Sohn» ins Verhältnis gesetzt zu Gott, dessen Stimme mehr ist als das, was wir uns unter einem Vater und unter einer Mutter vorstellen. Wenn Gottes Stimme erklingt, ist sie grösser als unsere Vorstellungen, ja sie schwappt über aus dem Himmel, so wie das Taufwasser überschwappen kann, wenn ein Mensch, sei dieser ein Säugling oder eine erwachsene Person, ganz untertaucht. 

Text: Christine Stark