Das Kind muss raus

Narrenschiff

Das Kind muss raus

Wenn in unserem Dorf jeweils Chilbi angesagt war, dann haben wir den elterlichen Chilbibatzen umgehend in Chäpselipistolen investiert und damit tagelang rumgeknallt. 

Mit jedem Jahr hat unsere Mutter dieser Batzen ein wenig mehr gereut, weil wir mit dem Aufrüsten und Rumknallen einfach nicht aufgehört haben. Sie aber fand Chäpselipistolen schrecklich doof. Und Zuckerwatte übrigens auch.

Als ich selbst Kinder hatte, haben sie von meiner Mutter nur noch selten Chilbibatzen gekriegt – das Grossmami hat ihren Enkeln gleich eigenhändig die Spielzeugwaffen ins Haus geliefert. Dieselbe Frau, die uns beschworen hatte, doch bitte mal etwas Vernünftiges mit unserem Sackgeld anzustellen, genoss es nun geradezu schamlos, bei ihren Enkeln mit erzieherisch wertlosem oder kulinarisch bedenklichem Zeug zu punkten.

Bislang konnte ich mich bei meinem Enkel mit Chäpselipistolen noch zurückhalten. Muss zuerst rausfinden, wo man die kriegt. Aber auch auf mich üben die Eskapaden meiner Kindheit wieder grosse Anziehungskraft aus. Das Kind im Manne meldet sich immer drängelnder und dazu noch ziemlich egoistisch.
Eine Spielzeugeisenbahn würde ich gerne besorgen. Ich müsste sie allerdings leider, leider ganz allein zusammenbauen, denn mein Enkel ist dazu noch viel zu klein. Und danach würde ich die absurd grossen und teuren Bausätze von Lego und Playmobil kaufen. Einen nach dem anderen.

Ich träume wieder von Wasserschlachten. Von Grimassen-Olympiaden. Von Magenbrot-Orgien. Von Hüttenburgen und Puppenhäusern. Von einer Piratenwelt, die mein ganzes Wohnzimmer ausfüllt.
Selbst meine magische Phase kehrt zurück: Als ich meinem Enkel einen Plastikdino gekauft habe, konnte ich mich nicht für ein fleischfressendes Modell entscheiden. Die waren mir einfach zu gfürchig. Und ein Darth Vader kommt mir nicht ins und aus dem Haus. Nicht einmal in der plüschigsten Variante.
Ich stehe nur noch ein paar wertvolle Holzspielsachen vor dem endgültigen Dammbruch, nach dem ich dann mein Geld wieder genauso sinnlos investiere wie als Primarschüler.

Wer noch keine Enkel für seine Eskapaden vorschieben kann und mich nun deshalb beneidet, selbst für den gibt es Hoffnung. Und auch für alle jene, die den «Blick» immer noch in der «NZZ» verstecken. Unsere Kindheitsträume gibt’s nun auf erwachsen getrimmt. An meinem letzten Geburtstag habe ich erstmals seit über vierzig Jahren wieder Legos geschenkt gekriegt. Nun steht ein Nachbau des «Central Perk» aus «Friends» in meiner Stube, und an der Wand hängt ein Paul-McCartney-Porträt aus Plastik.

Text: Thomas Binotto