Irische Spuren

Auf dem Kolumbansweg

Irische Spuren

Auf seinem Weg von Bangor in Irland nach Bobbio in Italien durchquerte der irische Wandermönch Kolumban auch die Schweiz. Das forum ist seinen Spuren auf dem neu eröffneten Kolumbansweg etappenweise gefolgt. Erstmals publiziert in der Ausgabe 18/2020.

1. Etappe: von Basel nach Laufenburg

Es ist der Tag der Grenzöffnung zu Deutschland. Ungeduldig hatten wir ihn erwartet, denn der Kolumbansweg, der bei Basel in die Schweiz führt, bietet auch Gelegenheit für spannende Abstecher ins Nachbarland. So stehen wir nun in Stein AG am Aufgang zur längsten gedeckten Holzbrücke Europas, die mit ihren 200 Metern hinüber nach Bad Säckingen führt. 

Unsere Pilgerroute hatte frühmorgens in Rheinfelden begonnen. In den verwinkelten Altstadtgassen der einstigen Zähringerstadt warf die Sonne eben erst scheue Strahlen auf die pittoresken Hausfassaden, als wir die mittelalterliche Stadtmauer mit Wehrgang und drei Türmen erkundeten. 

Das Plätschern des Rheins zog uns alsdann hinaus in die Natur. Der Weg entlang des linken Flussufers führte durch lichte Uferwälder. Es roch nach frischem Gras und jungen Blättern, unsere Wanderschuhe hinterliessen Abdrücke in der feuchten Erde. Ob sie damit Kolumbans Spuren nachzeichneten?

In Stein werden wir von Wolfgang Sieber, passionierter Weitwanderer und Präsident des Vereins IG Kolumbansweg, erwartet.  Seine Kontakte zu den Kolumban-Freunden in Frankreich hatten dazu geführt, dass auch die Schweiz ins europäische Projekt einer «Via Columbani» eingebunden wurde. 

In der Schweiz und in Österreich gibt es allerdings nur drei Orte, an denen sich Kolumban und seine zwölf Gefährten nachweislich aufhielten: Tuggen, Arbon und Bregenz. 

Auf dem Gang über die Holzbrücke, Bad Säckingen mit den markanten Zwiebeltürmen des Fridolinsmünsters im Blick, erklärt Wolfgang Sieber, wie der Wegverlauf festgelegt wurde: «Mit hoher Wahrscheinlichkeit folgten die Menschen im Frühmittelalter den Flussläufen. Also folgt der Weg dem Rhein bis Koblenz, dann der Aare bis Baden und der Limmat bis Zürich. Anschliessend geht es mit dem Schiff nach Rapperswil oder dem Seeufer entlang bis Tuggen.

Von dort führt der einfachste Weg über den Ricken nach Wattwil und St.Gallen bis Arbon. Ab dort geht’s per Schiff über den Bodensee oder zu Fuss durch das  Rheindelta nach Bregenz. Alte Römerstrassen führen dann südwärts durch Vorarlberg und Fürstentum Liechtenstein in die Bündner Herrschaft und nach Chur. Ab dort gäbe es drei mögliche Wege: über den Lukmanier-, den Splügen- oder den Septimerpass nach Chiavenna. Wir wählten Letzteres: Oberhalb von Bivio gibt es einen Kolumbansee – Flurnamen täuschen selten.»

In der Altstadt, die uns am Ende der Brücke empfängt, treffen wir erstmals wenn nicht auf Kolumban, so doch auf die irischen Wandermönche Fridolin und Gallus, letzterer ein Weggefährte Kolumbans. Gallus-Brunnen, Gallus-Stube – und dann der mächtige Gallus-Turm unten am Rhein, 1343 als Wellenbrecher erstellt, ist er heute das Domizil der Bad Säckinger Narrenzunft. Der Rheinuferweg führt uns schliesslich vorbei an monumentalen Flusskraftwerken bis nach Laufenburg. Von Napoleon zur Landesgrenze erklärt, teilt der Rhein seit über 200 Jahren die mittelalterliche Stadt in einen helvetischen und einen badischen  Teil.

Trotz der politischen Trennung hätten die beiden Schwesterstädte viel Verbindendes bewahrt, erzählt uns Diakon Thomas Frey, Pastoralraumleiter in Laufenburg. So werden sowohl die Fronleichnamsprozession als auch die Fasnacht in einem gemeinsamen Grossanlass gefeiert. Und auch die Ökumene, betont Frey, werde beidseits gepflegt.

Mit den turmbewehrten Stadtmauern, dem Geflecht von schmalen Gassen und bunt gepflästerten Plätzen ist Laufenburg der perfekte Ort, um einen Pilgertag ausklingen zu lassen.

2. Etappe: Von Rapperswil nach Tuggen 

«Näher kann man dem Gefühl, übers Wasser zu wandeln, wohl nicht kommen», sagt Josef Schönauer auf der Holzbrücke, die Rapperswil mit Hurden verbindet, und schmunzelt in die Morgensonne. Der pensionierte Spitalseelsorger ist Präsident der Pilgerherberge St.Gallen und Vorstandsmitglied der IG Kolumbansweg. Seit er vor über 30 Jahren den Jakobsweg kennenlernte, hat ihn das Pilgern nicht mehr losgelassen. «Eine Pilgerreise schafft Unterbrechung – und ermöglicht damit Innehalten und Besinnung aufs Wesentliche.»

Hinter uns spiegelt sich das Schloss Rapperswil auf der glatten Seeoberfläche, neben uns nisten die Schwäne – und vor uns liegt eine weitere Etappe des Kolumbanswegs, hinauf nach Tuggen, jenem Ort, den Kolumban und Gallus um 610 nachweislich besucht hatten, um die heidnische Bevölkerung zu bekehren. Sie mussten dann allerdings fliehen, weil Gallus die dortigen heidnischen Tempel niederbrannte und die Opfergaben in den See warf. 

Auch wenn Josef Schönauer gesteht, dass er sich der Gestalt des hl. Kolumbans erst annähern müsse, freut er sich doch sehr, auf dem noch wenig bekannten Weg unterwegs zu sein. «Wie jeder Pilgerweg ist auch der Kolumbansweg mit einer spirituellen Perlenschnur vergleichbar. Unzählige Kirchen und Kapellen mit je eigener Geschichte und Ausstrahlung laden zur Begegnung ein. Sie wirken heilsam und lassen die Seele gesunden.  Bilder und Skulpturen können Fragen aufwerfen. Die Antworten darauf finde ich vielleicht erst zu Hause. Zu diesen spirituellen Perlen gehört natürlich auch die Schöpfung. Wälder, Wolken, Flüsse, Tiere weiten unseren Blick – und erinnern uns an die Verantwortung, dem Garten Eden Sorge zu tragen.»

Von Pfäffikon führt uns der Wanderweg nahe am Seeufer Richtung Lachen mit der katholischen Pfarrkirche von Caspar Moosbrugger und anschliessend durchs Naturschutzgebiet Nuoler Ried. Scheue Kiebitze sollen hier brüten, vereinzelt sehen wir violette Sibirische Schwertlilien. Es ist heiss heute, und wir sind froh, auf schattigen Pfaden durch den Wald des Buechbergs die Höhe oberhalb von Tuggen zu erreichen. Bis 1550 soll der Tuggenersee unmittelbar ans Dorf gereicht haben.

Und dann sehen wir ihn endlich: In der Tuggener Pfarrkirche ist Kolumban als Fresko an die Wand gemalt – zusammen mit Gallus, seinem Gefährten. Bis heute trägt die Gemeinde Gallus in ihrem Wappen – und mitten im Dorf steht ein Gallus-Brunnen. Schade, denken wir uns, als wir uns an seinem kühlen Wasser erfrischen – schade, wird Kolumban auf seinem Erinnerungsweg so wenig fassbar. Oder liegt die Faszination vielleicht gerade darin? Dass vieles offen bleibt, dem wir nachspüren können?

Pilgern heisst, sagt Josef Schönauer, in die Fremde zu ziehen, oder, wie es ein altes Pilgerlied weiss, «das Elend» zu wagen. Im Frühmittelalter kannten die Iren drei Arten von Martyrium: das grüne Martyrium – leben als Eremit auf der Insel; das rote Martyrium – sterben für den Glauben; das weisse Martyrium – das Verlassen der Insel in die schutzlose Fremde, wie Kolumban es tat.

3. Etappe:  im Bergell

Steil mäandert die Strasse vom Malojapass hinunter ins Tal. In Casaccia trifft sie auf den Säumerweg, auf dem wohl Kolumban vom Septimerpass abgestiegen ist. Begleitet von schroffen Dreitausendern, führt das Bergell vom alpinen Maloja hinunter ins mediterrane Chiavenna und verbindet die Schweiz mit Italien.

Bereits zur Römerzeit und bis zum Anbruch des Industriezeitalters war das Tal ein wichtiger Verbindungs- und Transitweg. Seine Geschichte war bewegt, stets in europäische Belange einbezogen. Dies hat zur Offenheit der Bergeller beigetragen – und dazu, dass  hier markante Persönlichkeiten wie die Künstlerfamilie Giacometti gross werden konnten. 

Rund 1600 Menschen leben heute im Schweizer Bergell, darunter einige, welche diese faszinierende  Gegend zu ihrer zweiten Heimat gemacht haben. Der Kunsthistoriker David Wille zum Beispiel, der uns in Stampa mit einem alten gusseisernen Schlüssel die Türe zum Atelier aufschliesst, das Giovanni und Alberto Giacometti genutzt hatten.

Die Zeit ist hier stehen geblieben: Die Farbtupfer auf der Malerpalette scheinen noch feucht, die Pinsel eben erst benutzt – die Farbstriche an den Wänden flüchtig hingeworfen, und den Zigarettenlöchern im grossen Holztisch  haftet fast noch Rauchgeschmack an. In der Ciäsa Granda nebenan, dem in einem 1581 erbauten Herrschaftshaus eingerichteten Talmuseum, sind verschiedene Werke der Künstler ausgestellt.  

Die letzten Ruhestätten der zwei Generationen umspannenden Künstlerfamilie befinden sich auf dem Friedhof von Borgonovo. Die dortige Kirche San Giorgio wird von einem Glasfenster von  Augusto Giacometti verschönert. Die Wildheit des Bündner Südtals  zog auch andere Künstler wie Giovanni Segantini oder Varlin an. Das besondere Licht drängt bis heute danach, auf die Leinwand gebracht zu werden. 

Nach so viel Kunst schnüren wir unsere Wanderschuhe und steigen auf zum Sentiero Panoramico, der sich als Höhenweg an der sonnigen Talseite entlangschlängelt und durch Mischwälder hindurch immer wieder spektakuläre Ausblicke bietet. Gegenüber ragen massive Granitzacken in den Himmel: Die Gipfel der Sciora-Gruppe und des Piz Badile verbreiten einen Hauch Ewigkeit. Massiv sind auch die Granitplatten, die den Weg pflastern, Wasserläufe überbrücken oder in kunstvoll angelegten Treppen schliesslich talwärts führen. 

Die Silhouetten der Steindächer von Soglio zeichnen sich in der Nachmittagssonne ab. Auf einer Terrasse gelegen, wird das Dorf ganzjährig mit Licht und Wärme verwöhnt, während viele Tallagen im Winter im Schatten bleiben. Eng drängen sich hier die alten Häuser mit  ihren dicken Mauern zusammen. Viele sind aufwändig renoviert. Einige aber zeugen von vergangener Zeit, als die Menschen arm waren, das Leben hart und die Wohnung dunkel und feucht war.

Soglio ist der Stammsitz der Familie von Salis, die im 13.  Jahrhundert vermutlich aus Como einwanderte. Heute noch stehen eindrucksvolle Palazzi aus dem 17. und 18. Jahrhundert: Der älteste ist die Casa Mezzo (1696), links daneben die Casa Battista (1701), die seit 1876 ein Gasthaus ist und damit den Tourismus im Bergell initiierte. Heute heisst sie Palazzo Salis und noch immer kann man hier nicht nur im Rilke-Zimmer in historischen Betten übernachten. 

Durch Kastanienhaine führt der Weg schliesslich hinunter nach Castasegna, das uns mit südländischem Ambiente empfängt. Hier an der Grenze zu Italien –  die einstige Bistumsgrenze teilt das reformierte Schweizer vom katholischen italienischen Bergell – lassen wir Kolumban weiterziehen nach Bobbio. Wir verabschieden uns vom Bergell in Bondo: Die Kirche von San Martino, die im 13. Jahrhundert erbaut wurde, fiel zwar in der Reformation dem Bildersturm zum Opfer. Renovierungsarbeiten brachten jedoch wunderschöne Fresken zu Tage. Das Abendmahl mit Fischen, Krebsen und Artischocken begleitet uns auf den Heimweg.