Kein Licht am Ende des Tunnels

Libanon vor dem Zerfall

Kein Licht am Ende des Tunnels

Im Libanon wird es duster – immer häufiger im wortwörtlichen Sinn. Kein Strom, kein Wasser, keine Medikamente, kein Geld: Seit Monaten herrscht dramatischer Mangel. 

Eine Regierung, die das Land aus der tiefsten Krise in seiner Geschichte führen könnte, fehlt weiterhin. Mitte Juli schmiss der designierte Ministerpräsident Saad Hariri erneut das Handtuch. Nadschib Mikati soll es nun richten, saudisch-libanesischer Milliardär und zweifacher früherer Ministerpräsident des Landes. Auch gegen ihn gab es bereits Protestkundgebungen wütender Bürgerinnen und Bürger.

Die Wunden sind offen, die die verheerenden Explosionen vom 4. August 2020 im Hafen von Beirut in die verletzte Seele des Landes gerissen haben. Die Explosion sei «symbolisch für alles, was im Libanon falsch gelaufen ist und in einem Big Bang endete, der uns alle in die Knie zwang und in kollektive Verzweiflung brachte», sagte der Präsident der Evangelischen Nationalkirche von Beirut, Habib Badr, in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur KNA. Stadt und Land seien in viele Teile zerbrochen, ein funktionsfähiger Wiederaufbau werde jeden Tag unwahrscheinlicher. 

Die traurige Realität scheint Badr recht zu geben. Immer häufiger fällt der Strom aus, Mitte August herrschte erstmals landesweit Finsternis. Der Vorrat an Treibstoff neigt sich dem Ende zu, mit verheerenden Auswirkungen: Ohne Diesel und andere Treibstoffe können Generatoren nicht betrieben werden. Sie liefern aber den Strom in jenen 20 bis 23 Stunden pro Tag, in denen der staatliche Energieversorger die Zufuhr abstellt. Ohne Nachschub droht mehreren grossen Krankenhäusern die Schliessung. Stellenweise gibt es weder Telefon- noch Internetverbindungen. An Tankstellen spielen sich dramatische Szenen ab. Wartezeiten von bis zu sechs Stunden für ein rationiertes Tanken sind keine Seltenheit, und immer wieder kommt es zu Ausschreitungen oder gar Schusswechseln. Das Horten von Treibstoff und dessen Schmuggel nach Syrien verschärfen die Lage, im Fall des Ortes Tleil im nordlibanesischen Gouvernement Akkar mit tödlichen Folgen: Mitte August explodierte dort ein Schmuggellager, mindestens 30 Menschen starben. 

Dem Land und seiner Gesellschaft drohe ein völliger Zerfall, warnte der ökumenische Kirchenrat des Nahen Ostens (MECC) nach der Explosion in Tleil, der Kirchenrat beschrieb die Lage als «nicht hinnehmbar». Von einer «bislang beispiellosen Dringlichkeit» im Blick auf die humanitäre Lage spricht die Caritas Nahost/Afrika in einem Notfallappell. Der Libanonexperte der «Initiative Christlicher Orient», Stefan Maier, sprach gegenüber der österreichischen Presseagentur «Kathpress» von «Weltuntergangsstimmung». 

Hoffnung schöpfen Kirchenvertreter durch den Zusammenhalt, den die Libanesen in dieser extremen Lage beweisen. Zahlreiche Blutspenden für die Verletzten von Tleil sind nur ein Beispiel für die grosse soziale Solidarität. Auch Kirchenvertreter vor Ort helfen, wo es nur geht. Von Wiederaufbauhilfe über Lebensmittelhilfe und medizinische Versorgung zu Sozialhilfe reicht das Angebot. Doch auch die Helferinnen und Helfer haben mit der Wirtschaftskrise zu kämpfen. Die gleichen Summen reichen durch die hohe Inflation für immer weniger Menschen. Der Bedarf hingegen wächst.

Text: Andrea Krogmann