Verwurzelung und Halt

Im Züripiet dihei

Verwurzelung und Halt

Seit 50 Jahren gibt die Slowaken-Mission Raum für die Pflege der heimatlichen Kultur, der Gemeinschaft und der Gottesbeziehung. Ein Missions-Pionier und ein Student erzählen.

Aristid Zelenay ist mit seinen 90 Jahren nicht mehr so gut zu Fuss. Aber er lässt es sich nicht nehmen, uns in seiner kleinen Wohnung in Winterthur in sein Büro voller Bücher und Dokumente zum Computer zu führen, wo er in seinem Fotoarchiv Bilder der jährlichen Slowaken-Wallfahrten nach Einsiedeln sucht. Und er wird fündig: Menschen in wunderschönen Trachten, Alt und Jung vereint, im Gruppenfoto vor der Kirche oder während der Prozession, bei der Zelenay als Kreuzträger vorneweg schreitet. «Da bin ich ja noch als Ministrant dabei!», ruft Vincent Arnold. Der 26-Jährige kennt Zelenay «seit ewig», wie er sagt. «Jeder in der Slowaken-Mission kennt ihn.» Kein Wunder: Zelenay war vor 50 Jahren einer der Pioniere, die sich für die Gründung der Mission eingesetzt haben. 

«Wir kamen 1968 wegen des Kommunismus als Flüchtlinge in die Schweiz», erzählt er. «Mein ältester Sohn wurde in der Schule drangsaliert, weil er Christ war und ich wie auch sein Grossvater überzeugte Katholiken. Da wusste ich: Wir müssen weg aus diesem System.» Sie landeten in einem Flüchtlingslager in Buchs, später in Zürich, wo Zelenay Arbeit fand. Damals gab es für sie nur Gottesdienste in tschechischer Sprache. «Die meisten wussten gar nicht, dass in der damaligen Tschechoslowakei ein Teil der Bevölkerung Slowakisch spricht.»

«Wir hätten gerne eine Mission in unserer eigenen Sprache gehabt, aber an welche Türe sollten wir dafür anklopfen?» Sie haben überall angefragt, auch Bittschriften an die Schweizer Bischofskonferenz geschrieben – zuerst ohne Erfolg. «In der päpstlichen Kommission für Migranten und Flüchtlinge war ein slowakischer Priester Mitglied», sagt Zelenay. «Aber er war nur ein Prälat, kein höherer Würdenträger. Daher konnte er nicht alles erreichen, was wir hofften.»

Immerhin sei der nächste tschechische Missionar den Slowaken wohlgesinnt gewesen und habe darauf geachtet, dass auch Slowaken im Missionsrat mitmachen – hier wurde Zelenay Co-Präsident. Später gab es bei den Dominikanern einen Priester, der Slowakisch sprach. «Wir schickten ihn zur slowakischen Gemeinschaft in Basel», erzählt Zelenay. Denn diese seien eher zerstreut gewesen, während sie in Zürich eine starke Gemeinschaft waren und auch noch etwas länger ohne Priester durchhalten konnten. «Ab und zu kam er zu uns, wir feierten in einem Umkleideraum unterhalb der Kirche in Effretikon die Heilige Messe», erinnert sich Zelenay. «Später haben wir alle Kirchen in Zürich abgeklappert, da das zentraler war. Schlussendlich bekamen wir in der Kapelle der Kolping-Gemeinschaft vorläufig einen würdigen Gottesdienstraum.» Doch immer noch fehlte ein eigener Priester, eine eigene Mission. «Wir überlegten, wer für uns ein gutes Wort einlegen könnte ... welcher Magistrat oder Minister ... da kam uns in den Sinn: Wir haben doch unsere Landespatronin, die Mutter Gottes! Wir machen eine Wallfahrt! Doch wohin?» Unser Dominikaner-Pater suchte also einen Wallfahrtsort, während Zelenay sich mit einem Aufruf in der slowakischen Verbandszeitung um die Propaganda kümmerte. Kurz vor dem Tag der Wallfahrt sei das Dekret des Bischofs von Chur gekommen, dass die Mission bewilligt werde: «Ein Wunder der Muttergottes. Wir haben beschlossen, jährlich nach Einsiedeln zu pilgern und so unsere Dankbarkeit zu demonstrieren – seit 50 Jahren», sagt Zelenay. 

Aristid Zelenay erzählt dem jungen Vincent Arnold aus der Pionierzeit der Slowaken-Mission in der Schweiz. Foto: Christoph Wider

«So genau wusste ich das gar nicht», staunt Vincent Arnold. Der Geschichtsstudent mit Schwerpunkt «Osteuropäische Geschichte» nahm von klein auf mit seiner Familie an den Festen, Wallfahrten und Gottesdiensten der Mission teil, inzwischen in der Krypta der Liebfrauenkirche. «Als ich geboren wurde, war die Slowakische Republik ein eigenständiger Staat, wir waren als Volk und Kultur etabliert – während Aristid noch dafür kämpfen musste.» Vincents Eltern haben sich in einem Jugendlager der Slowaken-Mission kennen gelernt, und so wurde diese für die ganze Familie ein Stück Heimat. «Hier haben wir unser kulturelles Erbe kennen gelernt», sagt Vincent. «Uns Jungen, die in der Schweiz geboren sind, gab das Verwurzelung und Halt. Wir würden unsere Kultur sonst gar nicht kennen.» Seine Kindheitsfreunde fand er in der Mission, die slowakische Sprache konnte er hier pflegen. Eine besondere Verbindung zur Heimat sind die Einsiedler Wallfahrten auch deshalb, weil jeweils ein Bischof aus der Slowakei predigt und die Jungen firmt. Vincent geht am Sonntag auch in seiner Schweizer Pfarrei zur Messe. «Der Gottesdienst ist aber nicht gleich feierlich und andächtig», findet er. 

Was schätzen die beiden an der Slowaken-Mission besonders: «Dass ich einen Ort habe, wo ich mit Gott sprechen kann», sagt Aristid Zelenay. «Das trifft es auf den Punkt», antwortet Vincent Arnold: «Hier finde ich den Zugang zu Gott, eine direkte Beziehung zu ihm.»

Text: Beatrix Ledergerber