Himmel und Erde verbinden

Im Züripiet dihei

Himmel und Erde verbinden

Amanda Ehrler ist eine Seelsorgerin, die sich auf ihrem Weg – unter anderem als Präsidentin des Katholischen Frauenbundes Zürich – von Grenzen nicht aufhalten liess. Ein Porträt.

Wir geniessen in Königsfelden unter einer grossen Platane einen Kaffee, bevor wir den vom katholischen Frauenverein St. Franziskus Wollishofen vorgeschlagenen Ausflug unter die Füsse nehmen. Während zwölf Jahren engagierte sich die Seelsorgerin Amanda Ehrler im Vorstand des Katholischen Frauenbundes Zürich, davon sieben Jahre als Präsidentin. Zum Abschied bekam sie ein schön gestaltetes Buch: von jedem Ortsverein ein Ausflug. «Ich wandere sehr gern», sagt Amanda Ehrler, «die Natur schenkt mir mächtige Bilder, die mir gut tun.»

Natürlich gehört auch ein Blick in die alte Kirche des ehemaligen Doppelklosters mit ihren wunderbaren Glasfenstern zum Ausflug. Hier sehen wir im Chor eine kleine Türe und erfahren staunend, dass diese im 14. Jahrhundert von Königin Agnes von Ungarn in Auftrag gegeben worden war. Als Frau hatte sie keinen Zugang zum Chor. Also schrieb sie dem Papst persönlich und bekam von ihm die Erlaubnis, mit den Schwestern des Klarissenklosters durch diese Tür in den Chorraum zu gelangen – wie die Brüder des Franziskaner-Klosters. «Das ist ja ganz spannend», kommentiert Amanda Ehrler. «Bereits damals war die Stellung der Frau in der Kirche ein Thema!» 

Weiter geht es der Reuss entlang, die nach den Unwettern hoch und wild fliesst. Schritt für Schritt erzählt Amanda Ehrler von ihrem Lebensweg mit vielen unerwarteten Wendungen – die sich aus Grenzen, an die sie gestossen ist, ergeben haben. 

Als junge Seelsorgerin arbeitete sie auf der Pastoralstelle für Pfarreiräte im Bistum Chur, nebst Katechese und Pfarreiarbeit. In den neu gegründeten Pfarreiräten konnten Pfarrei-Mitglieder über die bisherigen Hilfsarbeiten hinaus auch bei der Pastoralplanung mitreden. «Aber letztlich konnte doch immer der Pfarrer sagen, wo es langgeht. Das ist auch heute noch so. Ich aber hatte immer die Idee, dass wir auf Augenhöhe miteinander arbeiten.» Später wechselte Amanda Ehrler auf die Arbeitsstelle für Kirchliche Berufe. «Für mich leistet die Sigristin genauso wichtige Arbeit wie der Pfarrer, der Katechet genauso wie die Pastoralassistentin. Aber das hierarchische Prinzip hat auch hier immer wieder durchgedrückt.» Immer wieder hörte sie: «Ihr könnt schon alle kirchlichen Berufe fördern – aber vorwiegend Priester- und Ordensberufungen!» Das habe sie massiv geärgert. 

So landete sie schliesslich als Gemeindeleiterin in einer Pfarrei: «Hier konnte ich ziemlich selbständig arbeiten und die Pfarreiarbeit mit den Freiwilligen und dem Team gestalten, das war schön. Mit dem Pfarrer hatten wir eine gute Zusammenarbeit.» Ihr war klar: «Was ich tue, sind priesterliche Dienste: Ich versuche immer wieder, Himmel und Erde zu verbinden.» 

Wäre sie – als Mann – Priester geworden? «Ja, auf jeden Fall. Ich hatte ein klares Berufungserlebnis.» Sie sei sehr gerne in die Schule gegangen. Als die Lehrerin krank war und sie zu Hause bleiben musste, sei sie – Erstklässlerin – todtraurig gewesen. «Da bekam ich plötzlich dieses Bewusstsein: Ich möchte Pfarrer werden». Sie ist in einer Bauernfamilie mit acht Geschwistern aufgewachsen. «Geredet hat man bei uns nicht. Man gehorchte und arbeitete.» Der religiöse Halt der Mutter gab Geborgenheit. Schule und Kirche waren die einzigen Möglichkeiten, für kurze Zeit vom Hof und der Arbeit wegzukommen. Ohne jemandem etwas zu sagen, trug Amanda Ehrler ihr Berufungs-Erlebnis mit sich. Als klar wurde, dass sie als Frau nicht Pfarrer werden kann, schloss sie daraus, dass ihr Weg das Kloster sei. «Nach der obligatorischen Schulzeit habe ich gearbeitet und etwas Geld verdient, eine Ausbildung gab es für uns Mädchen nicht.» 

Sie trat mit 18 Jahren ins einzige Kloster ein, das sie kannte. Hier konnte sie die Sekundarschule nachholen, anschliessend wurde sie nach Ingenbohl geschickt, wo sie das Handarbeits- und Hauswirtschafts-Seminar machte. Später kam eine Ausbildung zur Katechetin und Unterrichtstätigkeit hinzu, es folgte ein Fernstudium in Theologie und schliesslich das Seminar für Seelsorgehelfer und -helferinnen, der damalige Ausbildungsweg zur Einführung in die pastorale Arbeit. «Ich war eine gefügige junge Schwester», sagt Amanda Ehrler. «Es gab auch hier kaum Gespräche, man wurde hierhin oder dorthin geschickt, wo es gerade nötig war.» So wurde sie unversehens leitende Köchin in einem Alters- und Pflegeheim, zuständig für täglich 80–100 Mahlzeiten. «In der Küche halfen ältere Schwestern mit. Sie waren festgefahren, unflexibel und hatten keinerlei Offenheit für Neues. Mir wurde klar: So wie sie wollte ich nicht werden.» 

Daraus folgte – als logischer Schritt – der Austritt aus dem Kloster. War das nicht sehr schwierig? «Ja und nein. Ich hatte die innere Überzeugung, dass es richtig war. Es ist wie auf dieser Wanderung: Ich sehe bis zur nächsten Wegbiegung, erst dann sehe ich weiter. Das genügt. Ich habe immer für mich selber den Weg gesucht. Ratschläge habe ich innerlich geprüft und eingeordnet – und dann meiner Überzeugung entsprechend gehandelt.» 

Diese innere Stärke hat sie auch im Frauenbund vermittelt: «Es ging darum, den Frauen Mut zur Selbstermächtigung zu geben, sodass sie hinstehen und mitwirken – nicht nur im Frauenkaffee –  und wo nötig sagen: So geht es nicht.»  Aus diesem Grund ist sie «Für eine Kirche mit* den Frauen» nach Rom und mit «Vielstimmig Kirche sein» aus Solidarität mit dem abgesetzten Dekan Martin Kopp nach Chur gepilgert. «Es ist eine grosse Ermutigung, junge Theologinnen und Theologen zu sehen, die heute den Aufbruch weiterführen, den wir begonnen hatten und der zwischendurch fast nicht mehr wahrnehmbar war.» 

An einem grossen Baum vorbei biegen wir aus dem Uferwald aufs weite Feld hinaus. «Wurzeln waren für mich immer wichtig.  Ebenso die Freiheit, die Weite. Ich brauche beides – und es bedingt sich ja auch gegenseitig.» So wie Himmel und Erde. 

Text: Beatrix Ledergerber