Dürfen Kirchen politisieren?

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Dürfen Kirchen politisieren?

Das Engagement der Kirchen zur Konzernverantwortungsinitiative KOVI hat für Diskussionen gesorgt. Lorenz Engi hat in einer Studie erstmals die rechtlichen Grundlagen geklärt.

Um es vorwegzunehmen: Sie kommen zum Schluss, dass sich öffentlich-rechtlich anerkannte Kirchen politisch engagieren dürfen. Warum?
Lorenz Engi: Weil Kirchen zwar auch öffentlich-rechtliche Körperschaften sind, aber nicht gleichgesetzt werden können mit einer politischen Gemeinde oder mit einem Kanton.

Wo ist der Unterschied?
Kirchen sind öffentlich-rechtliche Körperschaften «sui generis», also eigener Art. Zum Beispiel lässt sich das daran erkennen, dass natürliche Personen – also jeder Mensch – aus der Kirche austreten kann. Das ist bei einer politischen Institution nicht der Fall. Aus dem «sui generis» schliesse ich, dass Kirchen nicht vorbehaltlos an die Grundrechte gebunden sind. 

Welche Grundrechte wären durch das Engagement der Kirchen berührt?
Artikel 34 der Bundesverfassung, der die freie Willensbildung der Bevölkerung schützt und verhindern möchte, dass staatliche Akteure hier zu sehr Einfluss nehmen. Eine prinzipielle Nicht-Einmischung lässt sich aber nicht auf die Kirchen übertragen, zumal Kirchen auch von ihrem Selbstverständnis her gesellschaftlich relevante Positionen in die Diskussion einbringen.

Wo sehen Sie rechtliche Grenzen?
Dort, wo die Kirchen weiterhin eine hoheitliche Stellung haben. Ein Beispiel ist die Möglichkeit, juristische Personen zu besteuern – das geschieht ja unabhängig von einer Mitgliedschaft und in dem Sinne zwangsweise. Diese Einnahmen dürfen nicht verwendet werden, um vor Volksabstimmungen zu politisieren. Das gilt übrigens auch für die staatlichen Beiträge, die den Kirchen zufliessen.

Dass Kirchen bei Abstimmungskämpfen aktiv sind, ist ja eigentlich nichts Neues. Bei der KOVI hat der Einsatz politische Wellen geworfen. Was war anders?
Ich denke, es war zunächst die Wucht der Kampagne: Transparente an den Kirchengebäuden, die Website, das eigene Büro in Bern. Dann lautete das Motto «Kirche für KOVI», in diesem Fall trat also die Kirche als Institution auf, und nicht einzelne Exponentinnen und Exponenten.

Kirchen werden also doch wahrgenommen, wenn sie öffentlich auftreten.
Bestimmt, wobei die Resonanz ja zweischneidig war. Einerseits wurde aufgenommen, was die Kirchen inhaltlich sagten. Stärker wurde die Diskussion aber auf der Metaebene geführt: Was dürfen die Kirchen? Das könnte auch mit einem veränderten Klima gegenüber den Kirchen zu tun haben, das kritischer und distanzierter geworden ist. Auf jeden Fall wurde da eine offene Frage sichtbar.

War es dann im Interesse des Kantons, dass Sie mit der Studie eine Antwort auf diese offene Frage finden?
Nein, die Studie war nicht amtlich motiviert. Ich hatte die Diskussionen verfolgt und dann war der Forschergeist in mir erwacht. Es war also meine private Initiative.

Neben rechtlichen Grundlagen: Welche Rolle haben Kirchen Ihrer Wahrnehmung nach in politischen Diskussionen?
Für mich ist klar, dass Kirchen nicht völlig unpolitisch sind. Sie sind gesellschaftliche Akteurinnen, beeinflussen unsere Gesellschaft, nehmen Positionen zu aktuellen Fragen ein. Also müssen sie auch einen Umgang finden mit diesem Komplex der Volksabstimmungen mit direktem Bezug zu politischen Institutionen.

Was heisst das konkret?
Ich glaube, es gibt einen ganzen Fächer von Möglichkeiten für die Kirchen. Wichtig finde ich ihre Funktion, Podien zu schaffen und Menschen zusammenzubringen. Die Kirchen sollten sich meines Erachtens diese vielfältigen Möglichkeiten noch stärker bewusst machen und dann nachvollziehbare Strategien für ihr politisches Engagement entwickeln: Wann setzen wir uns wie ein? Wenn kirchliche Akteurinnen und Akteure ihre Haltungen zu politischen Fragen unabhängig von Abstimmungskämpfen äussern – also lange davor oder zwischen Abstimmungen –, dann spielt auch die rechtliche Problematik bezüglich der Abstimmungsinterventionen nicht.  

Text: Veronika Jehle