In die Mitte nehmen

Editorial

In die Mitte nehmen

Was uns irritiert, schmerzt oder uns schlecht oder böse vorkommt, halten wir möglichst von uns fern.

Neigen wir zu ununterbrochenem Handy- oder Schokoladenkonsum, versuchen wir, diesen zumindest zeitweise von uns fernzuhalten – was durchaus richtig und sinnvoll ist, aber manchmal nicht wirklich nützt. So dass wir uns anschliessend nur umso schlechter fühlen. 

Erinnerungen an traurige Ereignisse in unserm Leben gehen wir lieber aus dem Weg – um nicht wieder traurig zu werden. Mit der Folge, dass solche Erinnerungen mit nur noch mehr Wucht in den unmöglichsten Momenten uns reaktions- und handlungsunfähig machen. 

Es geht auch anders: An einem «Oasenweekend für Frauen» hat jede ihr Handy im Gottesdienst in die Mitte gelegt – nicht etwa, um dieses uns ewig ablenkende Ding los und selber andächtiger zu sein, sondern um das Handy ganz bewusst in Gottes Hände zu legen – mit all den Menschen, die durch die Kontakte und Chats mit uns verbunden sind, den Terminen und Nachrichten, die uns ans Leid der Welt erinnern, mit all den To-dos, die auf uns warten. Viel mehr als das Wegsperren hat das «In-die-Mitte-Nehmen» geholfen, alles Belastende loszulassen und innerlich frei zu werden. 

Später treffe ich eine Familie, die Zwillinge kurz nach der Geburt verloren hat. Statt möglichst nicht dran zu denken, steht auf dem Stubentisch eine Kerze mit zwei kleinen, gehäkelten Schmetterlingen, zwei Herzen, ein Stein mit den Namen der Kinder. An ihrem Geburtstag steigt eine Himmelslaterne hoch. Die später geborenen Kinder besuchen ihre Geschwister auf dem Friedhof. Nicht dass dadurch der Schmerz verschwinden würde, aber er wird Teil des Lebens und ist in Gott aufgehoben. 

Es scheint paradox, aber hilft dem Leben: Dem Dunkeln nicht ausweichen, sondern es mitten ins Leben hineinnehmen, liebevoll erinnern und dadurch loslassen.

Text: Beatrix Ledergerber