Haltung, Alter!

Schlusstakt

Haltung, Alter!

In unserem Hinterhof pflegt mein Nachbar seine Oldtimer-Motorräder. Stundenlang, hingebungsvoll, fachgerecht. 

In meinem Blut zirkuliert kein Tropfen Benzin, aber eines begreife ich: So ein Oldtimer wird immer von irgendeinem Zipperlein geplagt. Und er wird womöglich häufiger gepflegt als gefahren. Aber erst heute habe ich herausgefunden, weshalb mich das Schicksal dieser Töffs so anrührt: Sie haben meinen Jahrgang und meine Probleme.

Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich ein Gesicht, das mich an einen Apfel erinnert, der verschrumpelt in der Obstschale liegt und eventuell gerade noch geniessbar ist. Nur mit sehr viel Mut zur Selbsttäuschung entdecke ich in meinem schütteren Haarwuchs einen Hauch von Sean Connery. Wenn ich mit unbeschreiblicher Selbstdisziplin zwei Pfunde abspecke, wandern diese nicht in den Bizeps. Auch mein Gedächtnis ist längst nicht mehr so selbstbewusst wie früher.

Bei mancher Redensart schreit es in mir nur noch «Schmerz»: Aus dem Bett springen – vor Freude hüpfen – an die Brust werfen – aufs Kreuz legen – in die Knie gehen – die Hüften schwingen – den Kopf verdrehen – ein Bein ausreissen. Manchmal gönne ich mir die Freude und stöhne halblaut vor mich hin, ohne dass mir jemand dabei zuhört. Ich trauere dann jenem durchtrainierten Sportler nach, der ich nie war. Jenem Bild von Mann, das es nie gab. Jenem Energiebündel, das mich wohl frühzeitig ins Grab gebracht hätte.

Ich weiss, ich weiss: Das ist nicht die Klage des Alters, das ist das Kokettieren mit dem Älterwerden. Eigentlich gebe ich nämlich einen ganz passablen Oldtimer ab. Aber ich möchte es gerne immer wieder bestätigt kriegen. Möchte mit knackigen 45 taxiert werden, anstatt mit tatsächlichen 55. Möchte mit Komplimenten eingedeckt werden, gerne auch mit geheuchelten. Möchte, dass mich The Next Generation auf Augenhöhe herausfordert und nicht geduldig dem Oldie abhört. 

Ich schau wieder in den Hof runter. Und da stehen sie, die Oldtimer-Töffs. Schön aufgereiht zur Visite. Sie springen nicht mehr so leicht an. Knattern wie wild. Rasen geht anders. Aber sehen sie nicht todschick aus! Haben sie nicht einfach Klasse! Kunststück: Sie trauen sich den Oldtimer selbstbewusst zu. Jammern nicht vergangenen Tagen nach. Brennen auf neue Abenteuer. Und solange noch ein Sprutz im Tank ist, werden sie der Strasse einen Sinn geben.

Text: Thomas Binotto