Eltern-Welten

Leben in Beziehung

Eltern-Welten

Ein gemeinsames freies Wochenende. Nach einigem Hin und Her entscheiden wir, trotzdem getrennte Wege zu gehen und unsere Eltern zu besuchen. 

Wir leben weit weg von unseren Herkunftsfamilien und sehen unsere Eltern daher nur selten. Zudem liegen zwischen beiden Eltern mehrere hundert Kilometer. Innerhalb von drei Tagen beide zu besuchen, macht wenig Sinn, wenn wir Zeit mit ihnen verbringen möchten. Und das wollen wir. So steigen wir am Freitagmorgen in verschiedene Züge – und fahren in verschiedene Welten. 

Unsere Väter haben Jahrgang 1944, unsere Mütter sind vier bzw. 13 Jahre jünger. Das eine Elternpaar – solange Corona es nicht verhindert – viel unterwegs, aktiv im Beruf bzw. im Freiwilligenengagement als Pensionierter, eingebunden und mit Verpflichtungen belegt. Das andere Paar geprägt von der Alzheimererkrankung, vom Spagat zwischen den einander teilweise diametral entgegenstehenden Bedürfnissen des Erkrankten und der rund um die Uhr betreuenden Partnerin. 

Dazwischen wir. Irgendwie. Äusserlich meist weit weg. Spontane Kaffeebesuche unmöglich. Doch die Beziehung zu «Mama und Papa» bzw. «Mutti und Papa» ist uns wichtig und wertvoll. Auch das Eintauchen in die so andere – mal spannende, mal herausfordernde – Herkunftsfamilie des Partners bzw. der Partnerin geniessen wir sehr. Und wir beide möchten Sorgen und Freuden unserer Eltern teilen – obwohl wir in ihrem Alltag hauptsächlich digital präsent sind. Wie also in echtem Kontakt bleiben? Wie unterstützen? Wie häufig in den Norden fahren, obwohl es auch für uns anstrengend ist, weil geeignete Wochenenden rar sind und wir diese – so langsam können wir uns eingestehen, dass ja auch wir nicht jünger werden – öfter selbst zum Erholen brauchen?

Auf der Rückfahrt treffen wir uns im Zug und reisen ein Stück gemeinsam. Beide bringen wir Dankbarkeit und reichlich Gesprächsstoff mit: Zwischen dem Abend-und-Zubett-Geh-Ritual mit einem Alzheimerkranken und dem gemeinsamen Zubereiten und Geniessen der im Dänemark-Urlaub vom (Schwieger-)Vater selbstgeangelten Meerforelle liegen gefühlt mehrere Leben.

Feststellungen, die dezent die Frage aufwerfen, wie wohl unser Alltag in 35 Jahren aussehen wird und was wir im Vorfeld tun wollen, um ihn uns entsprechend zu gestalten. Sowie – vielleicht aktuell am wichtigsten – die Dankbarkeit, dass es für uns beide gleichermassen wichtig ist, die Verbundenheit «nach Hause» zu pflegen.

Und dann müssen wir, trotz etwas Melancholie und viel Nachdenklichkeit, doch auch lachen: Beide Mütter nutzten unsere Anwesenheit für Unterstützung bei Entrümpelungsfragen. Und beide haben wir den ein oder anderen aussortierten Gegenstand in unseren Reisetaschen verschwinden lassen.

Text: Hella und Gregor Sodies