«In Gedanken ganz bei den Kindern»

Im Züripiet dihei

«In Gedanken ganz bei den Kindern»

Unbeschreiblich ist der Verlust eines Kindes. Eine Gedenkfeier gibt Raum für Trauer, Erinnerungen und Gemeinschaft.

«Ein Teil des Herzens wird dir herausgerissen, wenn dein Kind stirbt», sagt Ursula Beerli. Vor 16 Jahren hat sie zusammen mit den Spitalseelsorgenden Margarete Garlichs und Matthias Berger, später auch mit Tatjana Disteli und der damaligen Pflegeleiterin Susanna Ackermann mit dem Gestalten von Gedenkfeiern begonnen. Nun gibt sie die Verantwortung ab. Sie hat als junge Mutter ein Kind durch eine Frühgeburt verloren, später einen erwachsenen Sohn durch Suizid. Im Verein Regen-bogen fand sie in der Selbsthilfegruppe Kraft und Raum zum Verarbeiten dieser Verluste. Mit den Gedenkfeiern wollte sie anderen diese Erfahrung ermöglichen. «In dieser Feier kann ich eine Stunde lang in Gedanken ganz bei den Kindern sein, die nicht bei uns sind, man taucht total ab, das tut unendlich gut», sagt Barbara Glanzmann, die neu im Vorbereitungsteam dabei ist. Sie hat vor fünf Jahren Zwillinge im sechsten Monat der Schwangerschaft verloren. 

«Zu Beginn geht es ums reine Überleben», erinnert sich ihr Mann Michael Glanzmann. «Zwei Wesen in diesem Haus können nur weinen und kein Wort reden ... In so einer Situation reduziert sich das Leben auf drei Pfeiler: Familie, Freunde, Glaube.» Das ist auch für Ursula Beerli so: «Wenn eins davon fehlt, wird’s schwierig, wenn zwei fehlen, fast unmöglich, ohne einen dieser Pfeiler wird man es nicht schaffen», ist sie überzeugt. Familie und Freunde unterstützen ganz grundlegend: Einkaufen, Kochen, die Verzweifelten nicht alleine lassen. «Wir haben auch professionelle Hilfe gesucht», erzählt Barbara Glanzmann. «Das war wichtig. Aber es können noch so viele helfen, am Ende des Tages bist du allein und musst deinen eigenen Weg finden, um mit diesem Gedankenkarussell fertig zu werden, mit Schuldgefühlen, Szenarien, die hätten sein können und nicht so waren», weiss Barbara Glanzmann. «Unsere Gesellschaft denkt, wenn so etwas passiert, soll man am besten so schnell wie möglich wieder arbeiten gehen, sich ablenken. Aber das wollte ich nicht. Ich musste und wollte traurig sein, tief unten sein, weinen. Erst wenn man ganz tief unten war, kann es wieder hinaufgehen. Wird die Trauer verdrängt, holt sie einen später ein.»

Eine Säule war und ist für das Paar der Glaube: «Abschied nehmen zu können, unterstützt von der Kirche, war für uns wichtig», sagt Michael Glanzmann. «Daraus hat sich auch der Besuch der ersten Gedenkfeier ergeben, ein Jahr nach dem Verlust der Zwillinge.» Ursula Beerli erklärt: «In der Feier zünden wir für jedes Kind eine Kerze an, beschreiben einen Stein mit seinem Namen, lesen die Namen der Kinder vor. Die Musik, die Stille, die Dekoration – alles lässt uns eintauchen in die Erinnerung an unsere Kinder. Das heisst nicht, dass wir nicht jeden Tag an sie denken würden, aber es sind oft nur flüchtige Momente. In der Gedenkfeier dürfen wir eine Stunde lang ganz bei unseren Kindern sein.» Ist denn das nicht zusätzlich und immer wieder neu schmerzvoll? «Es wird schon viel geweint, aber das darf und muss so sein», sagt Ursula Beerli. «Viele denken, nach einiger Zeit könnte man das abhaken, vor allem, wenn man wieder Kinder hat», sagt Barbara Glanzmann. «Aber ein verlorenes Kind lässt sich nie ersetzen. Mir tut es jedes Jahr gut, diese Stunde für und mit meinen verlorenen Kindern zu verbringen.» Auch im Alltag der Familie bleiben die Kinder präsent. Auf dem Esstisch steht immer eine Kerze, ein Stein mit den beiden Namen, zwei Herzen, zwei kleine gehäkelte Schmetterlinge. Zusammen mit den beiden später geborenen Kindern besuchen die Glanzmanns regelmässig den Friedhof, am Geburtstag der verstorbenen Zwillinge gibt’s einen Kuchen, und eine Himmelslaterne wird entzündet und steigt hinauf in den Nachthimmel. 

Text: Beatrix Ledergerber