Naturschutz als Handwerk

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Naturschutz als Handwerk

Umweltschutz und Klimawandel sind beliebte Gesprächsthemen – allzu oft ohne Konsequenzen und persönliches Engagement. Wir haben drei Menschen besucht, die sich beruflich dem Naturschutz verschrieben haben – tagtäglich und konkret.

Der Ranger

An einem wolkenverhangenen Sommermorgen treffen wir Niklas Göth am Greifensee. Es nieselt, was die hier beheimateten Tiere nicht zu stören scheint, Spaziergängerinnen und Spaziergänger jedoch vom Besuch abhält. Wir lauschen dem Vogelgezwitscher, beobachten in der Ferne ein Reh – und sind fasziniert. «Sicher versteht ihr nun, dass mir mein Beruf auch nach zehn Jahren noch gefällt», sagt Niklas Göth und lacht sein spitzbübisches Lachen. Auf seiner Outdoor-Jacke stechen die Logos «Swiss Rangers» und «Ranger – Information und Aufsicht» ins Auge. Gehören Ranger nicht in die Nationalparks der USA? Dort sei der Beruf entstanden, erklärt Göth. «Doch in den letzten Jahren zieht es in der Schweiz immer mehr Menschen an Seen, in die Berge und in den Wald. Der Druck auf die Natur hat zu-, gleichzeitig aber das Verständnis für die Natur abgenommen. Es fehlt an Kenntnis der ökologischen Zusammenhänge und der Bedürfnisse von Tier- und Pflanzen-arten. In diesem Spannungsfeld braucht es Ranger längst auch bei uns.»

Naturverbunden und naturbewusst, wollte der Tiroler Gärtner stets einen sinnvollen Job. Nach der Rangerausbildung war ihm sein weiterer beruflicher Werdegang klar: «Die Kombination von Mensch, Tier, Pflanze und Naturschutz begeistert mich.» Täglich ist er am und auf dem Greifensee unterwegs: zu Fuss, mit dem Velo, oder per Boot. «Jeder Tag ist anders – aber immer spannend.»

Das Schutzgebiet am Greifensee ist das grösste im Kanton Zürich und von einzigartiger Vielfalt. Ökologisch besonders wertvoll seien zum Beispiel die beiden grossen Riedgebiete am oberen und unteren Greifensee, erklärt der Ranger. Über 400 Pflanzenarten seien dort zu finden, viele vom Aussterben bedroht wie die Sibirische Schwertlilie oder der Lungenenzian. Über 240 verschiedene Vogelarten werden gezählt, darunter Haubentaucher, Rohrdommeln, Zwergdommeln oder der Eisvogel. Sie benötigen Lebensräume wie Schilf und Riedwiesen und sind darauf angewiesen, möglichst ungestört zu sein. «Vom Herbst bis in den Frühling ist der Greifensee zudem ein wichtiger Rastplatz für Zugvögel, die aus dem Norden zu uns in den ‹Süden› kommen oder einen Zwischenhalt einlegen.» Im See leben über ein Dutzend Fischarten. In den Weihern und Kiesgruben rund um den See tummeln sich Laubfrösche, Gelbbauchunken und Ringelnattern. Und auch Biber, Feldhasen, sogar Hermeline und eben Rehe fühlen sich hier wohl. Damit die Vielfalt bestehen bleibt, braucht es viel Aufklärung und Regeln.

«Ranger sind Naturschützer und Menschenfreunde: Es geht nicht darum, Naturschutzgebiete zu sperren, sondern die Menschen in die Natur einzuladen und sicherzustellen, dass sie nicht zerstört wird.» So müssen Hunde an der Leine gehalten werden, Stand-up-Paddler dürfen nicht in Naturuferzonen fahren, es gibt Fischereikontrollen und Ahndungen für Drohnen-Flieger. Daneben aber auch Führungen und Exkursionen. «Meist lassen sich Konflikte leicht entschärfen. Aber natürlich muss ich auch manchmal Verstösse anzeigen oder Ordnungsbussen ausstellen.» 

Damit es in Zukunft gar nicht erst zu Konflikten kommt, ist Niklas Göth seit neun Jahren auch mit Junior Rangers zwischen 7 und 13  Jahren im Schutzgebiet unterwegs. Sie sollen Abenteuer erleben und spielerisch das Ökosystem kennenlernen. «Und sich dadurch als Umwelt-Botschafter für das Miteinander von Mensch und Natur einsetzen», hofft Göth und steigt wieder auf sein Velo. Seine Junior Rangers warten bei der Waldhütte in Maur. Das Thema des Nachmittags: Tarnung.


Die Baumpflegespezialistin

Es ist idyllisch hier im Züri Oberland. Grün, so weit das Auge reicht. Durch den wilden Garten des Einfamilienhauses rauscht ein kleiner Bach. Die ausladenden Äste des Nussbaumes spiegeln sich im Wasser. Sorgfältig kontrolliert Barbara Willi die Seile ihrer Kletterausrüstung, zieht sich den Gurt an und nimmt die Sicherungshaken zur Hand. Behände klettert sie den Baumstamm hoch und sichert sich auf einem hochgelegenen Ast. Von diesem Ankerpunkt aus wird sie ihre Arbeit ausführen: die Baumkrone stellenweise begrenzen, zu grosse, schwere Äste einkürzen, abgestorbenes Holz entfernen. 

 «Aus Sicht der Natur brauchen Bäume keine Pflege durch den Menschen. Aber: Menschen stellen Ansprüche an Bäume – und haben deren natürliches Umfeld stark verändert. Somit wird Baumpflege notwendig. Unsere Aufgabe als Baumpflegespezialisten ist es, die Bedürfnisse von Baum und Mensch so gut als möglich zu erfüllen», sagt die zierliche Frau. Und fügt lachend an: «Eigentlich bin ich ja mehr Menschenpflegerin als Baumpflegerin – es geht letztlich immer um den Menschen.»

So auch in diesem Fall: Während sich die Besitzerin des Baumes eine harmonische, leicht ausgelichtete Krone wünscht und aus Sicherheitsgründen bruchgefährdetes Holz entfernt haben möchte, ärgert sich der Bauer auf dem Nachbargrundstück, dass ihn die tiefhängenden Äste bei der Traktorfahrt belästigen. Also greift Barbara Willi zur Baumsäge – obwohl sie, wie sie gesteht, eigentlich nicht gerne Äste entferne: «Jeder Schnitt ist eine Wunde, das ist mein Dilemma als Baumpflegerin.»

Bäume haben die gelernte Verkäuferin schon immer fasziniert. «Es sind grossartige Lebewesen, jeder Baum ist als Individuum einzigartig und wunderschön. Mit jedem Baum pflege ich eine persönliche Beziehung – und natürlich spreche ich auch mit ihm.» 

Vor elf Jahren machte sie ihre Liebe zur Natur zum Beruf, absolvierte erst eine Baumschullehre und anschliessend die Ausbildung zur Baumpflegespezialistin. «Ein neuer und sehr anspruchsvoller Lehrgang», erklärt Barbara Willi. «Mein Körper hat anfänglich gegen die Anstrengung rebelliert, und es brauchte auch Durchhaltewillen beim Lernen des Grundlagenwissens.» Heute kennt sie viele  Eigenschaften der verschiedenen Baumarten, berät bei Neubepflanzungen, erstellt Pflegekonzepte, kennt den jeweils passenden Schnitt, sichert Kronen, analysiert Krankheiten und schreibt Gutachten.    

Generell, sagt sie, gehe es unseren Bäumen nicht gut. «Die heissen, trockenen Sommer haben das Wasser aus den Bäumen gezogen. Entquillt die Zellulose im Baum, wird er anfällig für Brüche. Nach diesem nassen Sommer jedoch können die Wurzeln verfaulen.» Doch nicht nur der Klimawandel und seine Auswirkungen mache den Bäumen zu schaffen, sondern auch die Einwirkungen des Menschen: «Bei Bauarbeiten werden vielfach die Wurzeln stark beschädigt. Und manchmal werden Bäume sogar vergiftet.»

Rund um den Nussbaum fallen Blätter und Aststücke auf die Wiese. «Diesem Baum geht’s gut. Die entstandenen Wunden dienen dem besseren Wachstum», betont Barbara Willi. Dann lacht sie ihr fröhliches Lachen, balanciert dem nächsten Ast entlang und entschwindet im Blätterdach. 


Der Wildhüter

Urs Büchler kommt selten zur Ruhe. Nachts bietet ihn die Polizei auf, wenn ein totes Reh auf der Strasse liegt. Jäger rufen ihn an, wenn ein angeschossener Hirsch verletzt geflüchtet ist und mit Hund nachgesucht werden muss. Bauern beschweren sich bei ihm über Wildschweinschäden auf ihrer Alp. Im Frühling muss er die Bestände von Wildtieren und Vögeln erheben und kontrollieren – und daneben nimmt er auch Jagdprüfungen ab.

Urs Büchler ist Wildhüter im Kanton St. Gallen. Sein Einsatzgebiet: 280 Quadratkilometer zwischen Lichtensteig und Wildhaus, die Churfirsten auf der einen, das Alpsteingebiet auf der anderen Talseite. Seine Einsatzzeit: tagsüber und nachts, auch am Wochenende, bei jedem Wetter.

Der gebürtige Appenzeller nimmts sportlich. Wir treffen ihn Mitte August morgens um fünf Uhr in Nesslau. Es ist noch dunkel – und es nieselt. Wir hatten auf gutes Wetter gezählt für die Nachzählung des Steinbockbestandes im Churfirstengebiet. Die Sonne wird sich durchsetzen, hoffen wir während der abenteuerlichen Fahrt über Feldwege hinauf Richtung Alp Selun. Die Scheinwerfer schrecken Fuchs, Feldhase und Waldschnepfe auf. Mit den Höhenmetern sinkt die Temperatur, als wir auf dem schmalen Gebirgsweg zu Fuss die Südflanke des Kalksteingipfels erklimmen. Steinböcke sind keine zu sehen. Ob sie sich hinter dem höheren Plateau zurückgezogen haben? Das Gelände ist unwirtlich – mit dem Feldstecher sucht Urs Büchler den Bergkamm ab. Endlich taucht im Nebel schemenhaft ein Steinbockpaar mit drei Jungen auf. Obs das wirklich war für heute? Mit der Nachzählung hat es auf jeden Fall nicht geklappt.

Eine sorgfältige Aufnahme der Wildtierbestände sei wichtig, betont der Wildhüter. Für jede Art ist die optimale Anzahl Tiere festgelegt. Das Gebiet soll nicht übernutzt werden. Und wo Wildtiere hinunter Richtung Tal kommen, drohen Konflikte mit den Menschen. Zum Abschuss frei ist jeweils nur der Überschuss der Tiere, und zwar nach einem klar festgelegten Schema: Böcke, Weibchen und Jungtiere zu gleichen Teilen. 

Wenn Urs Büchler von der Jagd spricht, leuchten seine Augen. Jagd ist seit Kindheit seine Leidenschaft. «Entweder man hat's im Blut oder nicht», sagt er. Ein Tier aufspüren, ansprechen – es schön finden und ihm trotzdem nachstellen, um es zu erbeuten: «Es ist immer auch eine Frage der Haltung, wie legitim die Jagd ist», ist der Wildhüter überzeugt. «Ich habe grosse Achtung und Respekt vor den Wildtieren. Ich trage ihnen Sorge und hege sie. Mit dem Abschuss greife ich ein in den Kreislauf von Werden und Vergehen. Und wenn ich anschliessend auch verwerte, was die Natur im Überschuss hervorgebracht hat, hat das Töten Sinn gemacht.» Jagd ist ein Handwerk mit Sachverstand.

Auf der Suche nach Steinböcken stehen wir am nächsten Tag auf dem Chäserrugg, dem höchsten der Churfirsten. Der Blick hinunter zum Walensee ist grandios – Schwindelfreiheit von Vorteil. Die beinahe unberührte Landschaft mit dem natürlichen Wildtierbestand und abwechslungsreicher Flora scheint auch Luna, die Bayerische Gebirgsschweisshündin von Urs Büchler, in ihren Bann zu  ziehen. Kaum ein Felsvorsprung, den sie nicht neugierig betritt. 

«Hier müssten sie jetzt eigentlich sein», sagt Büchler und meint die Steinböcke, die sich normalerweise auf dem Grasband zwischen dem Karststein sonnen. Kein Tier, so weit das Auge reicht. Dafür sind plötzlich Helikoptermotoren zu hören. Ein Bauplatz – mitten im Berg. Die Steinböcke haben schon längst das Weite gesucht. Die Zivilisation macht auch hier Druck auf die Natur. Zum Glück gibt es für die Tiere noch immer Fluchtmöglichkeiten.

Text: Pia Stadler