Reden ist Silber – Schweigen  ist Gott

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Reden ist Silber – Schweigen ist Gott

Still sein, die Gedanken einfach loslassen und Platz schaffen für das, was unaussprechlich ist: Gläubige aus allen Religionen kennen die Praxis des Schweigens und den Ort des wortlosen Seins.

«Der interreligiöse Dialog findet im Schweigen statt», ist Peter Hüseyin Cunz, pensionierter Ingenieur und Scheich des Sufiordens der Mevlevi, überzeugt. Nur in der Stille begegne man einander wirklich. Denn ob Christ, Buddhistin oder Muslim, das Ziel sei immer dasselbe: «Wir besteigen alle den gleichen Berg – einfach auf unterschiedlichen Wegen.» Und was wartet auf dem Gipfel? «Einheit in der Stille. Formen und Worte sind verschwunden.» 

Dennoch besteht Religion für den Ordensleiter dieser mystischen Variante des Islams nicht einfach aus Schweigen. Worte stünden beim Dhikr, dem Gottesgedenken der Sufis, im Zentrum. Um sich wiederum von Worten und Gedanken zu lösen, drehen sich die Mevlevi in ihrem Drehritual um die eigene Achse. «Bei dieser Übung nehmen wir den Körper zu Hilfe», erklärt Cunz. Der drehende Körper stabilisiere das meditative Verbleiben in der Herzensmitte. «Denn sobald man denkt, verliert man das Gleichgewicht.» 


Leben statt denken

Loten Dahortsang schweigt oft. Während der Mahlzeiten und natürlich während der Meditation, in der man «die Kunst übt, nicht zu denken, sondern zu leben». Mit 14 Jahren ist Dahortsang aus dem Tibet ins klösterliche Institut Rikon im Zürcher Oberland gekommen. Der Meditationslehrer hat seither viele Menschen in die Stille begleitet. «Ein guter Anfang, um sich von Gedanken zu lösen, ist, das Schweigen zu üben – beim Trinken, Essen, Gehen.» 

Dass Schweigen und Stille herausfordernd sind, weiss auch Schwester Dorothea von der ökumenischen Kommunität Grandchamp und dem dazugehörenden Sonnenhof. Menschen, die aus dem Alltag kämen, täten sich manchmal schwer, wenn da plötzlich nicht viel mehr sei als das Wort Gottes an den Stundengebeten und die Stille. «Dann geht das Karussell der Gedanken erst recht los.» Um den Gästen den Einstieg zu erleichtern, wird denn auch ab und zu Musik abgespielt während der schweigend eingenommenen Mahlzeiten. Dass unerwünschte Worte und Gedanken laut werden können, kennt Schwester Dorothea aus eigener Erfahrung. Sich auf den Atem oder den Herzschlag zu konzentrieren, helfe. Manchmal bittet sie ihre Gedanken auch, dem grossen Du Platz zu geben.

Dass im Tempel alle Sinne angesprochen werden, helfe den Menschen, zur Ruhe zu kommen, sagt Sasikumar Tharmalingam, Priester der Hindugemeinschaft Saivanerikoodam im Berner Haus der Religionen. Räucherstäbchen und Trommeln, Malereien und Dekorationen und auch das feine Essen helfen, sich auf diesen Ort zu konzentrieren. Der dreimalige Ruf «Sahndi, Sahndi, Sahndi», was ewige Ruhe bedeutet, eröffnet im Tempel eine mindestens fünf Minuten lange, stille Meditation. «Nur in der unendlichen Stille kann man sich wirklich mit Gott verbinden», glaubt Tharmalingam. Selbst meditiert der Priester morgens und abends, und schweigt immer wieder ein oder zwei Tage lang konsequent. «Der Ort, an dem man Gott begegnet, ist ein wortloser Ort.» Doch beschreiben lasse sich dieser Zustand nicht wirklich. «Kaum fasst man ihn in Worte, ist er auch schon wieder weg.»     

Text: Christa Amstutz, zVisite-Redaktion