Co-Leitung in der Praxis

Schwerpunkt

Co-Leitung in der Praxis

Seit sieben Jahren leiten Frieda Mathis und Pfarrer Alfred Böni die Pfarrei St. Gallus. Dieses kirchenrechtliche und menschliche Kunststück meistern sie dank Respekt, Wertschätzung und gemeinsamer spiritueller Grundlage.

Frieda Mathis kommt aus dem Büro, wo sie gerade daran war, ein kritisches E-Mail zur Zertifikatspflicht in den Gottesdiensten zu beantworten. Nach unserem Gespräch ist Personalplanung dran: Ferienbezüge der 22 Mitarbeitenden – viele in Teilzeitpensen – und Einsätze der Kirchenmusiker müssen abgestimmt werden. Sie erzählt: «Bevor ich das Studium als Religionspädagogin begonnen habe, war ich Filialleiterin in einem Lebensmittelgeschäft und habe 15 Mitarbeitende geleitet. Dort merkte ich: ich mach das gerne und es gelingt mir auch gut». Pfarrer Alfred Böni kommt aus dem Werktagsgottesdienst, hat mit Frieda Mathis vorher noch die Beantwortung des kritischen Mails besprochen und ab Mittag ist Packen für die bevorstehenden Ferien angesagt.

Alfred Böni und Frieda Mathis leiten gemeinsam die Pfarrei St. Gallus. Wie funktioniert das? «Unsere Co-Leitung ist 2014 entstanden», erzählt Alfred Böni. «Ich überlegte mir, ob und wenn ja wie lange ich über meine Pensionierung hinaus arbeiten möchte. Es war klar, dass das nur möglich ist mit jemandem, der die Führungsaufgaben übernimmt. Damals war Frieda schon 13 Jahre bei uns und ich wusste, dass sie Topkompetenzen hat. Deshalb haben wir abgemacht, dass sie die Pfarreileitung übernimmt. Das ist für mich eine grosse Entlastung. In der seelsorgerlichen Arbeit fühle ich mich nach wie vor sehr wohl.» Allerdings hat Frieda Mathis ganz klar auch pastorale Aufgaben, und das war ihr auch wichtig. Die Begleitung der Verantwortlichen für Versöhnungsweg und Firmung liegen beim Pfarrer. Erstkommunion, Katechese und Vorschulpastoral leitet Frieda Mathis. «So machen wir keine doppelte Arbeit», betont sie. «Wenn wir neue Modelle einführen, wie jetzt die Elternbegleitgruppe der 4./ 5.  Klasse, besprechen wir die Zuständigkeit. Da das in die Katechese fällt, für die ich zuständig bin, organisiere ich mit den Katechetinnen nun diese Erlebnistage für Eltern und Grosseltern.»

Was ist das Geheimnis einer funktionierenden Co-Leitung? In St. Gallus gibt es da bereits sieben Jahre Erfahrung. «Das eine ist Respekt vor der mitleitenden Person, die vielleicht einiges anders angeht», sagt Frieda Mathis. «Das andere ist Dialogbereitschaft, im Austausch sein, bei schwierigen Themen eine gemeinsame Antwort oder Vorgehensweise suchen. Aufgaben und Kompetenzen klar aufteilen. Nach aussen immer als Team auftreten. Grundlegend für das Gelingen einer Co-Leitung ist der gemeinsame spirituell tragende Boden.» Zu Beginn seien Komplimente nach wie vor nur dem Pfarrer gemacht worden. Das hat Frieda Mathis aber nicht gestört: «Ich sagte mir: super, in dem Fall haben wir es als Team geschafft.» Heute heisse es immer öfter: das habt ihr beide gut gemacht. Alfred Böni ergänzt: «Die wertschätzende Kompetenz-Anerkennung ist wichtig. Du machst das nicht nur gut, sondern besser als ich. So ist eine loyales Miteinander möglich ohne Eifersucht und Neid. Wir haben Freude, wenn es dem anderen gut läuft. Wenn Frieda Beerdigungen übernimmt – wir haben viele, ich allein kann das gar nicht stemmen – und sie dafür Komplimente bekommt, freue ich mich, dass ihre andere, frauliche Art wahrgenommen und geschätzt wird.» 

«Wir mussten dafür kämpfen»

Kirchenrechtlich muss aber in einer Pfarrei immer noch der Pfarrer der Chef sein. Hier ist es umgekehrt. Wie ist das möglich? «Wir mussten schon dafür kämpfen. Doch schlussendlich ist der damalige Generalvikar Josef Annen auf diese Lösung eingegangen.» Der Name «Pfarrei-Koordinatorin» wurde in einer Team-Retraite gewählt. «Wir haben die ganze zukünftige Führung der Pfarrei mit dem Team besprochen. Es war uns wichtig, nicht über die Köpfe hinweg etwas zu bestimmen, sondern alle mitzunehmen», sagt Alfred Böni. «Beim Namen wollte ich, dass ‹Pfarrei› drin steht, denn ich stehe im Dienst der Pfarrei. Leitung durfte wegen der kirchenrechtlichen Vorgaben nicht vorkommen, deshalb haben wir uns für Koordinatorin entschieden», sagt Frieda Mathis. «Andere Pfarreileiterinnen und -leiter heissen ja heute auch nicht mehr so, sondern Pfarreibeauftragte. Das kam aber für mich nicht in Frage, weil ich kein Theologiestudium habe – sondern ein Studium als Religionspädagogin.» Für Alfred Böni ist dieses Hin und Her in Bezug auf die Funktionsbezeichnung ein Armutszeugnis: «Da finden wir kompetente, loyale, religiös und in der Pfarrei verwurzelte Menschen, die keine Macht-, sondern eine Dienstfunktion wahrnehmen, und man gesteht ihnen nicht den entsprechenden Titel zu, das finde ich etwas vom Schlimmsten.»

Was sind die Nachteile einer Co-Leitung? Da überlegen beide erst eine Weile. Dann sagt Pfarrer Böni: «Ein Problem gibt es: Wir beide arbeiten viel, und unsere Mitarbeitenden fürchten, dass wir von ihnen auch Überstunden erwarten. Was aber nicht der Fall ist. Für mich ist das Pfarrei-Engagement auch mein Hobby.» Frieda Mathis nimmt das Problem der Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit ernst und muss sich ihre freien Zeiten manchmal erkämpfen. Nachteile sieht sie weniger im Modell der Co-Leitung als in der Nichtanerkennung ihrer Funktion: «Offiziell muss der Pfarrer leiten. Wir haben eine Lösung, die uns zwei vom Generalvikariat zuerkannt wurde und von der Kirchenpflege vollwertig anerkannt ist. Was passiert, wenn Fredi die Arbeit als Pfarrer zu viel wird? Bleibt meine Funktion gleichberechtigt? Irgendwann ist es für mich zu spät für Weiterbildungen und einen Wechsel in einen anderen Bereich.»
 

Die Kirche hinkt hinterher

Gäbe es ein Priestertum für die Frau, wäre Frieda Mathis dann Priesterin? «Es wäre schön, wenn es das Priesteramt für die Frau gäbe. Für mich wäre es aber auch schon ein Zeichen, wenn das Diakonat für Frauen eingeführt würde. Ich würde mich sehr als Diakonin sehen in meiner Berufung und der Art, wie ich meine Arbeit für und mit den Menschen mache.» Mit Nachdruck sagt da Alfred Böni: «Du bist eine Diakonin, ob das nun anerkannt ist oder nicht! Du lebst so, in den Wortgottesdiensten, bei Beerdigungen, in all deinen Beziehungen, im Sorgetragen zu den Menschen, in deren Dienst du stehst. Die Kirche hinkt hinterher, du machst längst das, was andere mit Titel und Weihe tun!» 

Leserbrief

Das Schwerpunktthema las ich Wort für Wort; gerade weil es Künftiges und Fortschrittliches in meiner geliebten röm.-kath.Kirche betrifft und gar mein kirchenpolitisches Engagement für Diakoninnen tangiert! Danke, dass Sie den Zeitpunkt der Bischofssynode 2023-Umfrage wählten, worin die Diakoninnenweihe aufgeführt und zu ihr gestanden werden kann, zur Ständigen Diakonin analog dem Ständigen Diakon seit dem 2.Vatikanum. Der Schlussabschnitt «Die Kirche hinkt hinterher» ist Ihnen zu meiner Freude ganz besonders gut gelungen.

Esther Wolf

Text: Beatrix Ledergerber