Hoffnungsvolle Lyrik

Kultur

Hoffnungsvolle Lyrik

Erich Fried, wortgewaltiger wie umstrittener Lyriker, wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Eine Annäherung von Manfred Kulla.

Die Gedichte Erich Frieds beeindrucken mich. Zum einen ist es das Feuer seines Engagements für Gerechtigkeit, gegen Unterdrückung und Unfreiheit. Zum anderen beherrscht er das Handwerk des Dichters und bezieht Stellung. Als Theologe fasziniert mich, dass er lebensrelevante Themen aufgreift im Sinne des christlichen Glaubens – ohne religiös zu sein. Ein Beispiel dafür ist das Gedicht «Bevor ich sterbe».
 

Erfahrung von Ausgrenzung und Hass

Erich Fried wurde 1921 in Wien geboren. Der Antisemitismus, den er in der Schule spürte, ist sicherlich ein Motiv für sein Engagement gegen den Hass. Er floh nach England und entkam so dem Rassenwahn der Nationalsozialisten, Vater und Grossmutter fielen dem Wahn zum Opfer. Einer seiner besten Freunde im Exil, der Dichter Hans Schmeier, beging aus Verzweiflung Suizid.


Von der Wärme des Lebens sprechen

Auf diesem Hintergrund ist sein drei-strophiges Gedicht zu verstehen. Ein Reimschema ist nicht erkennbar. Dennoch folgt das Gedicht einer inneren Dramaturgie. In allen drei Strophen wird die Gedicht-Zeile «noch einmal sprechen» wiederholt. Angesichts des Todes bringt sie die Notwendigkeit zum Ausdruck, eine wichtige Botschaft auszusprechen. Die Menschen sollen wissen, dass die «Wärme des Lebens» existiert. Mit «Wärme des Lebens» sind Haltungen wie Nähe, Zuneigung, Freundlichkeiten und Empathie gemeint. Sie stellen die Realität der Kälte in Frage. 


Von der Existenz der Liebe sprechen

Die zweite Strophe beginnt mit den Worten des Titels «bevor ich sterbe». Dem Zeitpunkt des nahen Todes kommt damit Autorität zu. Es findet eine Steigerung statt: spricht die erste Strophe noch von Möglichkeit, beschreibt die zweite eine Notwendigkeit. Statt «Wärme» führt Fried die «Liebe» an. Für eine humanistische wie christliche Lebenseinstellung ist «Liebe» die Grundlage. Sie durchbricht die Logik der Vernunft, das Kalkül der Berechnung, die Zurückhaltung der Vorsicht und die Empirie der Erfahrung. 


Von der Hoffnung auf Glück sprechen

Die dritte Strophe gipfelt im Ausdruck der Sehnsucht. Auffällig ist das Wortspiel «vom Glück der Hoffnung auf Glück». Die «Hoffnung» ist die Kraft, die es dem Menschen ermöglicht, selbst die Katastrophe des Todes zu ertragen. 


Einfühlsamer Appell

Erich Frieds Gedicht spendet mir persönlich Trost. Denn die Liebe, die ich durch meine Frau Rita erleben durfte, gibt mir Kraft, die Dunkelheit der Trauer zu überwinden und von der Wirksamkeit der Liebe zu erzählen, die über den Tod hinaus geht. 

Text: Manfred Kulla, Theologe, Seelsorger und Autor, Diakon der Pfarrei Herz Jesu Oerlikon