Mit leeren Händen

Editorial

Mit leeren Händen

Warum fällt es uns so schwer, beschenkt zu werden?

Haben Sie während der Adventszeit freudig die Gaben für Ihre Liebsten ausgesucht? Oder erschien Ihnen das Kaufen von Geschenken und Basteln wie eine endlose To-do-Liste, die es vor den Festtagen abzuarbeiten galt? Haben Sie sich im Familien- oder Freundeskreis gar entschieden, auf Geschenke zu verzichten?

Unsere Kultur des Schenkens ist eine heikle Angelegenheit. Mit hohen Erwartungen verknüpft und störungsanfällig. Kaum haben wir das glitzernde Papier aufgerissen, fragen wir uns, was wohl unser Gegenüber als Gegengabe erwartet. Was könnte den stilvollen Füllhalter vergelten? Was das Wellness-Wochenende in den Bergen? 

Oder wir erkennen im Geschenk eine klare Aufforderung: Benutz endlich mal eine anständige Bratpfanne! – Gib die fadenscheinige Strickjacke auf!

Geschenke messen wir bewusst oder unbewusst an unserem Bedürfnis nach Wertschätzung. Wer sich durch ein Geschenk enttäuscht oder missverstanden fühlt, sagt zwar wohlerzogen «Danke», erinnert sich aber oft noch Jahre später an seine heimliche Enttäuschung. Und selbst wenn ein Geschenk ins Schwarze trifft, wissen wir nicht immer, wie wir reagieren sollen, weil wir unsere Begeisterung nicht auf Kommando zeigen können.

Was uns jedoch total überfordert, ist das überraschende Geschenk, das wir mit leeren Händen empfangen. Nehmen ist für uns Erwachsene sehr oft schwieriger als Geben. Kinder scheinen jedoch kein Problem damit zu haben. Sie lassen sich gerne beschenken. Damit ist Weihnachten eigentlich ihr Fest, denn das Kind in der Krippe ist jene Urszene einer Gabe, die keine Gegengabe erfordert.

Wenn Geschenke wirklich zu Zeichen der Liebe werden, dann erinnern sie uns daran, dass wir alle viel mehr sind als alles, was wir leisten, kaufen und vergelten können.

Text: Pia Stadler