Von Station zu Station

Reportage

Von Station zu Station

Das beliebte Krippenspiel einfach ausfallen zu lassen, kommt für Heidi Hürlimann und Piera Obrist nicht in Frage. Sie entwickelten eine Alternative, bei der die Weihnachtsgeschichte nicht nur in der Kirche aufgeführt wird.

Maria trägt pinke Boots, Josef eine Beanie. Wenn die beiden nicht gerade in ihre Rollen im Krippenspiel vertieft sind, heissen sie Ava und Jack. Sie besuchen den Unterstufen-Religionsunterricht bei Heidi Hürlimann in der Pfarrei St. Anton im Zürcher Quartier Hottingen. Zu den ersten Proben für das diesjährige Weihnachtsprojekt haben sich am zweiten Mittwochnachmittag im Dezember 15 Kinder eingefunden. Angemeldet war die doppelte Anzahl. «Die Lage an den Schulen hat sich zugespitzt. Viele Kinder sind krank oder in Quarantäne», sagt Heidi Hürlimann. Da ausserdem niemand weiss, welche Schutzmassnahmen an Weihnachten in Kraft sind, gestaltet sich die Planung schwierig. 

Krippenspiele haben Tradition in St. Anton. Vor Corona pferchten sich bis zu 400 Personen an Heiligabend in die St.-Anton-Kirche. 40 Kinder beteiligten sich, es spielten professionelle Musiker. An diesem Erfolg ist Heidi Hürlimann, die seit 25 Jahren als Katechetin in der Pfarrei arbeitet, wesentlich mitbeteiligt. Selber eine begeisterte Musikerin, steckte sie viel Herzblut in die Vorbereitungen. «Wegen Corona alles abzusagen, kam für uns nicht in Frage. Gerade in diesen schwierigen Zeiten sind solche Aufführungen ein Lichtblick», sagt Hürlimann. Zusammen mit Piera Obrist von der Pfarrei Maria Krönung in Witikon, die mit St. Anton einen Seelsorge-Raum bildet, suchte sie schon vor einem Jahr eine Alternative zum herkömmlichen Weihnachtstheater. Sie fanden diese in einer dynamischeren Form, die an mehrere Stationen aufgeführt wird.   

Die Premiere an Heiligabend 2020 kam sehr gut an. Das gesellschaftliche Leben litt damals unter strengen Restriktionen, sogar das Singen war verboten, deshalb brachten die Stationenkrippenspiele in St. Anton und Maria Krönung willkommene Abwechslung. Die Besucher mussten sich für eine Startzeit am Nachmittag des 24. Dezember anmelden. Dann zogen sie in Gruppen von 20 Personen von einer Station der Weihnachtsgeschichte zur nächsten: von der Volkszählung auf einem imaginären Marktplatz vor der Kirche zu den drei Königen in der Krypta, weiter zu den Hirten, die im Garten um eine Feuerschale tanzten, bis ihnen ein Engel erschien. Und schliesslich zur Kirche, wo die Szene im Stall von Bethlehem nachgespielt wurde. Intimer und noch berührender sei es gewesen, dieses Krippenspiel, und man habe die Stimmen der Kinder viel besser verstanden als in der vollen Kirche. So und ähnlich lauteten die vielen positiven Rückmeldungen, die Heidi Hürlimann bekommen hatte. Für dieses Jahr übernimmt sie das Konzept deshalb gleich noch einmal.  

«Ich will ein Engel sein, ich ein Hirte!» Bei der Zuteilung der Rollen schnattern die Kinder aufgeregt durcheinander. Die einen melden selbstbewusst ihre Wünsche an, andere überlegen oder warten ab, wo sich ihre Gspännli einteilen lassen. «Wir sind wieder Soldaten!», prescht der zwölfjährige Giona vor. Er und sein Freund Yanis sind stolze Mitglieder der Knabenmusik Zürich. Vor einem Jahr leiteten sie als Tambouren die Volkszählung mit Trommelwirbeln ein. «Ich finde Theäterle lässig und bin gerne ein Soldat», meint Yanis. Seine jüngere Schwester Nikita dagegen hat ihre Rolle noch nicht gefunden. Vor einem Jahr ging sie den Soldaten mit einem Stern voraus, das will sie nicht mehr: «Sternenkind sein ist doof!» Livia und Sophie möchten Engel sein, Julia geht als Hirtin, genauso wie Lielie, die zur Vorführung ihre Vogelpfeife mitbringen will: «Weil die Vögel doch so schön zwitscherten, als Jesus geboren wurde.» Heidi Hürlimann schmunzelt, freut sich aber sehr über die zahlreichen Ideen, die die Kinder eifrig einbringen. Ihre jüngste Tochter Greta sowie Sophie werden als Schäfchen dabei sein und ihre Station mit zweistimmigem Posaunenspiel bereichern.          

Aus einem der Proberäume erklingt lauthals «Feliz Navidad». Die Masken dämpfen die hellen Kinderstimmen und noch sitzen nicht alle Töne. Stella und Selma, zwei der älteren Mädchen, haben die Situation im Griff. Da Heidi Hürlimann nicht allen Gruppen gleichzeitig beim Einstudieren helfen kann, haben die beiden kurzerhand bei ihrer Station die Führung ergriffen und weisen die jüngeren Kinder beim Singen an. Unterstützung bekommt Heidi Hürlimann auch von Nora. Die 17-Jährige machte selber rund zehn Mal beim Krippenspiel mit und gibt ihre Erfahrung nun geduldig weiter. 

Ob das Einstudierte an Heiligabend wie geplant vor Publikum aufgeführt werden darf, steht noch in den Sternen. Wenn nicht, hat Heidi Hürlimann bereits einen Plan B: Dann wird das Stationskrippenspiel einmal ohne Publikum durchgespielt, gefilmt und das Video für alle zugänglich auf die Website der Pfarrei gestellt.

Text: Angelika Nido Wälty, freie Mitarbeiterin