Dienen und Vielfalt zulassen

Interview

Dienen und Vielfalt zulassen

Der ehemalige Zürcher Weihbischof Peter Henrici schaut in seinem neuen Buch auf sein Leben zurück und spricht zur Lage der Kirche Klartext. 

Auch mit seinen 93 Jahren ist Weihbischof Peter Henrici im Gespräch höchst präsent und formuliert seine Gedanken präzise. Im Rahmen einer Vernissage am 30. November in der Paulus Akademie wurde sein neuestes Buch vorgestellt, das als ausführliches Interview mit Urban Fink auf ein ereignisreiches Leben zurückblickt und zur Situation in der Ära Bischof Haas Klartext spricht. Überraschender Gast an diesem Abend war Nuntius Martin Krebs.

Im folgenden Interview motiviert Peter Henrici zum Hinausgehen und Dienen, zum Abschied von Zentralismus und dem Zulassen von Vielfalt.

Weihbischof Henrici, Sie haben den Pastoralplan mit dem Ansatz der «Geh-hin-Kirche» entwickelt. Ist er heute umgesetzt?

Der Pastoralplan von damals war ein Gemeinschaftswerk. Wir haben geschaut, in welche Richtung die Kirche gehen und arbeiten müsste. Das ist kein Arbeitsprogramm, das man erfüllen und abhaken kann. Vielmehr zeigt es eine Denk- und Handlungsrichtung an. Wie weit die einzelnen Zürcher Pfarreien in der Richtung dieses Pastoralplanes gegangen sind, kann ich aus Distanz nicht beurteilen.

In welche Richtung soll die Kirche gehen?

Hinter der Formulierung der «Geh-hin-Kirche» steht die Vorstellung, die auch manchen Konzilsvätern eigen war: es geht um eine dienende und arme Kirche. Eine arme Kirche ist im Kanton Zürich leider nicht zu verwirklichen, deswegen muss es da umso mehr eine dienende Kirche werden. Ihre ureigene Aufgabe besteht darin, den Menschen zu dienen; denn die Kirche ist kein Selbstwert. Die Kirche ist, wenn man so sagen kann, das Instrument Gottes für die Erfüllung seines Heilsplans. Durch sie soll das Angebot seines Heils zu allen Menschen gebracht werden.

Das wird aber immer schwieriger: Die Bindung an die Kirche verdunstet, die Austrittszahlen steigen …

Das ist wahrscheinlich gar nicht schlecht. Die Institution ist eher ein Hindernis, sie ist nur ein Mittel zum Zweck, vielleicht gibt es andere Mittel und Orte, wo man die Botschaft besser verkünden kann. Die Kirche ist eine Gemeinschaft von Menschen, die etwas von dieser Heilsgabe Gottes empfangen haben und sie weitergeben wollen. Je mehr sie das ins lebendige politische, wirtschaftliche Leben hineingeben, umso besser ist es.

Heisst das, Kirche muss politisch sein? 

Die Kirche muss sich un-be-dingt(!) politisch engagieren, aber nicht parteipolitisch. Im Französischen unterscheidet man «le politique» und «la politique». Ersteres ist wichtig für die Kirche, mit der zweiten hat sie nichts zu tun.

Wie sieht die Kirche im Jahr 2040 aus? Welche Vision haben Sie?

Wie die Welt dann aussehen wird, weiss ich heute auch nicht. Ich denke aber, dass mein Arbeitsprinzip – das auch das kirchliche ist – dann noch gültig sein wird: «Sich durchwursteln», das heisst je und je die Aufgaben zu erfüllen suchen, die sich dann gerade stellen.

Das eigentliche Bild für die Kirche ist das Schiff, nicht ein Geschäftsmodell oder eine Institution. Sie ist ein Schiff, ein kleines dazu, das im stürmischen Ozean der Welt unterwegs sein muss auf ihr Ziel hin, das Gottesreich. Es gilt, auf die Strömung zu achten und auf das, was gerade aktuell ist, zu antworten. Sicher ist, dass man nicht allzu viel Wasser des Ozeans an Bord lassen darf.

Bestimmt eine Zentrale den Kurs? Oder bestimmen kontinentale Kirchenschiffe ihre Richtung selber?

Das ist genau die Absicht des synodalen Prozesses, wie Papst Franziskus ihn versteht: Eine Dezentralisierung der Kirche. Wir müssen uns immer mehr bewusst werden, dass wir in Europa nicht der Mittelpunkt und Schwerpunkt der Kirche sind, sondern ein ganz kleiner Teil der Weltkirche. Wir in der Schweiz sind nicht einmal Kirche von Europa. Aber genau da, wo wir sind, müssen wir hinausgehen und diakonisch im Dienst sein, denn die Kirche ist nicht für sich selber da. Es kommt darauf an, was sie tun und bewirken kann, wie sie das Heilsangebot Gottes zu allen Menschen bringt, nicht nur zu denen in der Kirche.

Also weg von Machtausübung hin zu Verkündigung?

Ja, erstens das, und zwar nicht nur zur Verkündigung, sondern vorher noch zur Diakonie, also dem sozialen Dienen. Und zweitens: weg von Zentralismus hin zu Vielfalt, je nach Gegend und Situation.

Sie haben zusammen mit Kirchenratspräsident Ruedi Reich mit dem gemeinsamen Ökumenebrief 2007 einen Meilenstein in der Ökumene gesetzt. 

Der Ökumenebrief entsprang aus dem gelebten Leben. Wir mussten damals auf die Anfrage einer ökumenischen Frauengruppe reagieren und antworten. Wir haben dann die Gelegenheit wahrgenommen, die Antwort einzubetten in ein viel grösseres Konzept von ökumenischem Tun und Befinden. Auch heute muss Ökumene weitergehen, wo es möglich ist – und das ist nicht gerade dort, wo die grössten Klippen sind ...

…  das heisst …?

Ökumene und Zusammengehen der Kirchen in vielen praktischen Bereichen, in Diakonie und Verkündigung: Das hat Zukunft. Ebenso ist das Zusammengehen mit anderen Religionen ein Muss. Die Fragen lauten: Was ist uns gemeinsam? Was können wir als gemeinsam verstehen? Was können und müssen wir gemeinsam tun? Dann aber auch: Und was unterscheidet uns? In einem Satz: Das Unterscheidende nicht unterdrücken, sondern das Gemeinsame ausbauen.

Welchen Rat geben Sie einem frisch geweihten Priester, einer Theologin, einem Theologen in der Seelsorge mit auf den Weg?

Überleg dir, was du bekommen hast und wie du das weitergibst. Vertrau den Menschen und der Vielfalt des göttlichen Wirkens. Dabei muss man aber auch immer darauf achten, dass man nicht den eigenen Vogel mit der Taube des Heiligen Geistes verwechselt. Es braucht immer auch eine Unterscheidung der Geister.

Als Professor fassten Sie am Ende einer Vorlesung Ihre Hauptanliegen kondensiert zusammen. Darf ich darum bitten …?

Wir müssen uns immer mehr bewusst werden, dass wir in Europa nicht der Mittelpunkt und Schwerpunkt der Kirche sind, sondern ein ganz kleiner Teil der Weltkirche. Wo wir sind, müssen wir hinausgehen und das Heilsangebot Gottes zu allen Menschen bringen, nicht nur zu denen in der Kirche.

Text: Arnold Landtwing, Kommunikationsbeauftragter des Generalvikars für Zürich und Glarus