Tierversuche: ethisch zulässig oder nicht?

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Tierversuche: ethisch zulässig oder nicht?

Welche Fragen stellen sich aus christlich-ethischer Sicht bei der Beurteilung der Initiative «Tier- und Menschenversuchsverbot»? Anregungen von Sozialethiker Thomas Wallimann.

Für viele ist Forschungsarbeit ohne Tierversuche undenkbar. Diese reichen vom Anbringen von Sendern beim Luchs bis zum genetisch veränderten Schwein als Organspender. Grundlage für die Beurteilung von Tierversuchen bildet das Prinzip der «3R». Es steht für Reduzierung (Reduction) und Verfeinerung (Refinement) von Tierversuchen sowie die Entwicklung alternativer Methoden (Replacement). Dazu zählen Computersimulationen, aber auch Zell- und Gewebekulturen. Gleichwohl gibt es Bereiche, die Tierversuche nötig machen wie z.B. die Untersuchung komplexer Zusammenhänge im Körper.

Der Begriff «Menschenversuche» im Initiativtext ist unüblich. «Forschung am Menschen» ist im  Humanforschungsgesetz geregelt. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) führt hierzu eine Koordinationsstelle (kofam). Im Zentrum steht der Schutz der Würde des Menschen. 


Sozialethische Analyse

Rechtlich schützt Artikel 120 der Bundesverfassung die Würde der Kreatur. Doch ethisch gibt es keinen Konsens für den Umgang mit Tieren. Vielmehr ist die Tier-Mensch-Beziehung bis heute von Macht und Dominanz geprägt. Nicht nur bei Tierversuchen stellen sich ethische Fragen. Auch die Nutztierhaltung  in der Landwirtschaft, Tiere im Zoo sowie Haustiere und Therapietiere sind ethische Herausforderungen.

Drei Grundhaltungen lassen sich finden:

  1. Tiere haben keinen moralischen Status, darum können sie genutzt werden. Das Interesse des Menschen rechtfertigt Tierversuche. Kaum jemand vertritt dies, doch der Alltag zeigt immer wieder Beispiele.
  2. Güterabwägung. Tierversuche brauchen eine moralische Begründung. Wenn wichtigere Güter zum Wohl der Menschen und der Welt realisiert werden können, kann ein Tierversuch ethisch zulässig sein. Hier knüpfen die 3R-Prinzipien an.
  3. Gleichheit. Rechte wie auch Interessen menschlicher und nicht-menschlicher Lebewesen müssen in gleicher Art berücksichtigt werden. Je stärker die Gleichheit betont wird, desto schwieriger sind Tierversuche zu rechtfertigen.
Bibel, Menschen und Tiere

Mach dir die Erde untertan! Erst neuere Sichtweisen sehen den Hauptunterschied in der Schöpfungsgeschichte nicht zwischen Menschen und Schöpfung, sondern zwischen Schöpfer und Geschöpfen. Daraus folgt eine für alle Geschöpfe grundsätzliche Verbundenheit. Auch der Mensch als Ebenbild Gottes steht nicht für Herrschaft, sondern für die Einladung, mit Natur und Tieren als Mit-Geschöpfen umzugehen. Im Zentrum steht dabei der Respekt und die Verantwortung vor der Schöpfung und den Mitgeschöpfen. Dies bedeutet, Ziele und Zwecke bei Tierversuchen kritisch zu hinterfragen. Besonders gilt die Sorge jenen Kreaturen, die unter die Räder zu geraten drohen. Schaden soll von Tieren möglichst ferngehalten werden.

Schliesslich gilt es, das Wohl der ganzen Schöpfung im Auge zu behalten. Diese Schöpfung muss der Mensch gestalten. Doch seine Fehlerhaftigkeit führt dazu, dass dies nicht ohne Schäden und Übel zu machen ist. Eine heile Welt ist nicht zu haben – auch mit den besten Verboten nicht. 


Entscheidung

Je stärker die Gleichheit in Würde und Wesen bei Menschen und Tier betont wird, und je mehr darauf gebaut wird, wissenschaftliche Fortschritte auf andere Weise zu erlangen, desto eher wird man der Initiative zustimmen. Wer in der Initiative einen Versuch zur Herstellung einer heilen Welt sieht oder dem Menschen trotz vielen Gleichheiten und Ähnlichkeiten mit Tieren eine besondere Rolle und Verantwortung zuweist, wird die Initiative eher ablehnen.

Text: Thomas Wallimann-Sasaki, Sozialethiker, «ethik22»