Zwinglianer im Pfarrblatt

Leben in Beziehung

Zwinglianer im Pfarrblatt

In den 1940er Jahren war Zürich eine protestantische Stadt, in der auch ein paar Katholiken geduldet wurden. 

In jener Zeit besuchte ein unbeschwerter Bub im ländlichen Witikon die Primarschule mit über 40 Gschpänli.  Im alten Kirchlein donnerte der Pfarrer in zwinglianischer Manier von der Kanzel. Der Bub lernte, dass die Gemeinde schweigend auf den harten Holzbänken den Worten des Pfarrers zu lauschen hat und einzig beim Liedersingen mittut. Mit 16 Jahren wurde der Bub in streng zwinglianischer Zucht konfirmiert.

Jahre später heiratete der nun Erwachsene im Kirchlein seiner Jugendjahre und wanderte dann mit seiner Familie aus, 23 Tage auf hoher See von Genua nach Callao, dem Pazifikhafen von Lima/Peru. Sie wurden von der grossen Schweizerkolonie bestens aufgenommen und darüber informiert, dass es in Lima eine Deutsche Lutheranergemeinde gab mit einem – wie sie sagten – äusserst valablen Pfarrer. So besuchte der Schweizerknabe den Lutheranergottesdienst. Doch schon beim Betreten der Kirche stiegen Puls und Blutdruck, denn die Innenausstattung der Kirche hatte mit Zwinglis spartanischer Nüchternheit nichts gemein. Als dann erst noch der Pfarrer mit farbiger Schärpe auftrat, der Gottesdienst einer Liturgie folgte mit viel gemeinsamen Aktivitäten, da wähnte sich der Zwinglianer in einer katholischen Gemeinde. Ganz dramatisch wurde es für den Armen, als zum Empfang des Abendmahles die Gottesdienstbesucher zu den Stufen vor dem Taufstein schritten und dort – horribile dictu! – niederknieten. Innerlich völlig aufgewühlt stellte sich der Schweizerknabe an den Rand der Knienden und empfing Wein und Brot stehend. Im Witiker Zwingligottesdienst wurde nie gekniet!

Der Rest ist schnell gesagt. Bald merkte der Zwinglianer, wie unwichtig die Äusserlichkeiten des Glaubens sind, ja er fand sogar Gefallen am lebendigeren, farbenfroheren Gottesdienst der Lutheraner. Jahre später kehrte die Familie in die Schweiz zurück und die Gattin wurde reformierte Kirchenpflegerin. Der katholische Pfarrer des Ortes war lebensfroh, humorvoll, weltoffen, und es entwickelte sich eine herzliche ökumenische Zusammenarbeit. So kam es, dass der einst sture Zwingligläubige zwar seiner Konfession treu blieb, aber auch mit Vergnügen einer katholischen Andacht beiwohnt. 

Und das Pfarrblatt? Wie die geneigte Leserschaft wohl gemerkt hat, bin ich der oben Genannte. Vor Jahren wurde mir das katholische Pfarrblatt zum Lesen gegeben mit dem Hinweis, dass ich gewiss Freude hätte an den Kolumnen von Thomas Binotto. Ich wurde zum eifrigen Leser – und freute mich entsprechend, als ich angefragt wurde, selber für dieses Blatt zu schreiben. So weit ist es also gekommen mit einem, für den einst schon ein Lutheraner mit farbiger Schärpe ein sozusagen katholischer Gräuel war. 

Text: Hans Jörg Schibli