Liebe und mehr

Leben in Beziehung

Liebe und mehr

«Liebe tut immer weh», sinnierte ein ärztlicher Freund vor bald zwanzig Jahren, «es ist nur eine Frage der Zeit, bis man sie wieder verliert; entweder durch Ablehnung oder durch den Tod.» 

Damals verstand ich diese Aussage noch nicht. Heute schon: In den wichtigen Dingen des Lebens liegen Freud und Leid nahe beieinander. 

Und Liebe bedeutet nicht nur die romantische, erotische Liebe zwischen zwei Menschen. Gerade für «Alleinstehende» sind kameradschaftliche, aber dennoch tief verbindende Freundschaften vital. Denn: Wer seinen Liebsten oder seine Liebste an die Krankheit oder an einen anderen Menschen verloren hat, wird schmerzlich auf sich selbst zurückgeworfen. Diese Verlusterfahrung kann das ganze soziale Netzwerk mit sich reissen. Spätestens jetzt wird bewusst, wie existenziell wichtig eine tragende, freundschaftliche Beziehung ist. 

Echte, wahre Freundschaft! Im Vergleich zur Antike scheint unsere postmoderne Kultur sie kaum als eigenständige Form menschlicher Liebesfähigkeit zu kennen. Jedenfalls wird sie kaum beschrieben und noch weniger besungen. Umso mehr wird die exklusive Liebesbeziehung überhöht. 

In den letzten beiden Jahren ächzt die Freundschaft unter der nötigen Kontaktbeschränkung.  Wer in eine Kernfamilie eingebettet oder besonders gefährdet ist, bewegt sich vorwiegend in diesem kleinen sozialen Radius.

In diesen Tagen wurden mir ganz neu zwei prägende Wahrheiten zu der Liebe und der Freundschaft bewusst. Erstens: Beziehungsprobleme kriechen unter dem Teppich der Alltags-Geschäftigkeit hervor. Ausweichen war gestern. Und zweitens: Es gilt ebenso und im Besonderen, die Freundschaft zu pflegen. Sie ist nicht hoch genug zu schätzen, in guten wie in schlechten Zeiten.

Es war mitten im Shutdown des zweiten Coronawinters. Besuchsverbot über Wochen hinweg. Ein halbes Jahr lang war er schwer krank, gefangen im Kreislauf von Hoffen und Bangen. Wir sprachen uns, jeden Abend. «Wir hatten doch noch so viel vor», sagte er an seinem drittletzten Lebenstag, langsam und schwach. «Was wird denn jetzt aus dir?» Und dann starb er, der beste Freund. 

Bald schon ist ein volles Jahr vergangen. Es war wahre Freundschaft, die uns verband. Durch dick und dünn und bis zuletzt. Ich vermisse ihn. 

Bisher war ich der Meinung, langjährige tiefe Freundschaften könne man im fortgeschrittenen Alter nicht mehr begründen. Wunderbarerweise wurde ich eines Besseren belehrt: Man erkennt sie sofort, wenn sie die Bühne betritt, die echte Freundschaft!

Und ja: Er würde sie mögen.

Text: Tatjana Disteli