Wem gehört das Wasser?

Reportage

Wem gehört das Wasser?

Wasser ist Leben. Doch weltweit haben viele Menschen keinen oder nur erschwerten Zugang zu dem kostbaren Nass. Mit ihnen solidarisierten sich die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten der Freien Katholischen Schule Zürich. 

Nach 60 Sekunden blieb die Anzeige bei 52,4 Litern stehen. «Das war ganz schön anstrengend», sagte Zoé, nachdem sie diese Menge an Wasser mithilfe ihrer Muskelkraft auf einer hydraulischen Pedalpumpe gefördert hatte. Sie könne, so die 15-Jährige, sich gar nicht vorstellen, das Wasser, das sie täglich zum Duschen brauche, auf diese Weise zu erarbeiten: «Künftig werde ich das mehr schätzen.» Und ihre Schulkollegin Soraya fügt hinzu: «Für mich war Wasser bisher eine Selbstverständlichkeit.»   

Für sehr viele Menschen ist es das nicht. Genau genommen für 10 Prozent der Weltbevölkerung oder rund 785 Millionen Menschen. Das erfuhren die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums am Solidaritätstag der Freien Katholischen Schule Zürich. Dort werden seit 2014 solche Solidaritätstage mit christlich-sozialem Ansatz durchgeführt, zuvor schon zu Themen wie Armut, Flüchtende oder Klimawandel. Coronabedingt mit einem Jahr Verzögerung, war nun Wasser an der Reihe. «Lasst euch auf das Thema ein», forderte Sprachlehrerin Raffaela Dütschler am Morgen von den Schülerinnen und Schülern. Sie hatte den Thementag in Zusammenarbeit mit der Organisation Blue Community, die sich weltweit für Wassergerechtigkeit einsetzt, und Wasserexperten des HEKS, der Partnerorganisation von «Fastenaktion», organisiert. 

Einem Projekt dieses Hilfswerks kam auch der Erlös des Sponsoring-Pumpens auf dem Pausenplatz zugute. Alle rund 120 Schülerinnen und Schüler hatten in ihrem Umfeld Paten gesucht, die sich bereit erklärten, pro gepumptem Liter einen bestimmten Betrag zu spenden. Auf der in der Schweiz gefertigten «people powered pump», die sonst in Trockenzonen von Entwicklungsländern zum Einsatz kommt, schafften es die Gymnasiasten, zwischen 40 und fast 80 Liter pro Minute zu fördern. Knapp 9000 Franken wurden so zugesagt für die Unterstützung von Kleinbauern am Rio Pardo, deren Wasserversorgung stark unter dem aggressiven Wachstum der Agrarindustrie leidet. «Doch kann man überhaupt für ein Projekt in Brasilien spenden, wenn wir bestürzt und fassungslos die Nachrichten aus der Ukraine mitverfolgen?», fragte Raffaela Dütschler und gab die Antwort gleich selber: «Ja, man kann, denn das Leid ist dort nicht kleiner geworden, weil ein neues dazugekommen ist.»  


Viel Wasser für ein T-Shirt

Welche Einflüsse zu Wassermangel führen, was dieser für die betroffenen Menschen bedeutet und was man selber, auch in der Schweiz, zu mehr Wassergerechtigkeit beitragen kann, lernten die Schülerinnen und Schüler in vier Workshops.

Einige der Fakten setzten ihnen ganz schön zu. Zum Beispiel, dass der Fischer Santyula seine Familie nicht mehr ernähren kann, weil sich eine junge Zürcherin ein billiges T-Shirt aus usbekischer Baumwolle kauft. Geographielehrerin Alexandra Stähli erklärte den Begriff «virtuelles Wasser» und die Kausalkette, die zum Jobverlust des Fischers führte. Um ein Kilo Baumwolle zu produzieren, braucht es bis zu 17 000 Liter Wasser. Die intensive Bewässerung der Monokulturen in der Wüste Zentralasiens hat dazu geführt, dass Flüsse und Seen wie der Aralsee ausgetrocknet sind. «Ich werde auf jeden Fall meine T-Shirts in Zukunft bewusster kaufen und nicht nur auf den Preis, sondern auch auf faire Produktionsbedingungen achten», sagte Marvin aus der 4.  Gymnasialklasse. Auch die Fastenzeit erhielt für viele der Jugendlichen noch einmal eine neue Bedeutung angesichts der Tatsache, dass alleine für die Produktion einer Tafel Schokolade elf Badewannen voll Wasser nötig sind. «Nur schon ein kleiner Beitrag jedes Einzelnen bewirkt viel für den Planeten», gab ihnen die Lehrerin mit.

Nachhaltiges Leitungswasser oder teures Markenwasser: Welches schmeckt besser?

Ein solcher ist auch der Verzicht auf Flaschenwasser, wie Musiklehrer Simeon Schwab aufzeigte. Er liess die Jugendlichen die Transportwege von trendigen Flaschenwassern aus Norwegen, Italien oder den Fidschi-Inseln ausrechnen oder den Preis von Leitungswasser in Relation zum Flaschenwasser setzen. Bei einem weiteren Arbeitsposten wurde in einer Blind-Degustation Markenwasser mit Leitungswasser verglichen. Ein geschmacklicher Unterschied fiel praktisch allen Schülerinnen und Schülern auf, die meisten bevorzugten, ohne es vorher zu wissen, das Leitungswasser. «Es schmeckt viel natürlicher», meinte die 14-jährige Arela, die wie ihre Mitlernenden grosses Interesse am Thema des Solidaritätstags zeigte. Das fiel auch Lehrer Schwab auf: «Sie sind sehr engagiert bei der Sache.»  

Als Themenbeauftragter für Wasser beim HEKS ist sich Karl Heuberger den Kontakt mit Jugendlichen weniger gewohnt. Er hatte zusammen mit Lisa Krebs, die über Wassergerechtigkeit sprach, den Inhalt der Workshops vorbereitet. «Dieser Solidaritätstag war auch für uns ein Pilotprojekt», sagte Heuberger. Seine Bilanz könnte nicht besser ausfallen: «Ich gehe sehr glücklich nach Hause.» Er war tief berührt, nachdem er den Jugendlichen den Zusammenhang von Klimawandel und Wassermangel aufgezeigt hatte: «Es hat mich echt überrascht, wie gut informiert und wie sensibilisiert die Schülerinnen und Schüler in Bezug auf diese Themen bereits sind und welche Schlussforderungen sie für das eigene Verhalten ziehen.» Und mit dieser Einstellung und Solidarität ist nicht nur den Kleinbauern am Rio Prado geholfen, sondern dem ganzen Planeten. 

Text: Angelika Nido Wälty, freie Journalistin