Kein Jesus zur Primetime

Narrenschiff

Kein Jesus zur Primetime

Bis vor einigen Jahren konnte man Ostern zuverlässig mit «Ben Hur» planen, dem einzig wahren «Ben Hur» von 1959 natürlich.

222 Minuten – der Monumentalfilm schlechthin, in dem von der Galeere über das Wagenrennen bis zur Leprakolonie fast alles Platz hat. Action und Pathos. Entertainment und Erbauung. Perfekt ausbalanciert.

Jesus taucht in dieser Bestseller-Verfilmung mehrmals auf. In erstaunlich intimen, zurückhaltenden Szenen. Wir sehen ihn predigen, heilen, leiden … aber wir sehen nie sein Gesicht. Es geht um das Wirken des Messias, nicht um sein Aussehen.

Wem das dann doch etwas zu wenig Jesus ist, der stiess bislang im üppigen Bibelfilm-Angebot zwischen Palmsonntag und Ostern bestimmt auf Alternativen von Pasolini oder Zeffirelli. Oder konnte auf Titel wie «Die grösste Geschichte aller Zeiten», «Die letzte Versuchung Christi» oder «Jesus Christ Superstar» hoffen.

Diese Zeiten sind vorbei. Das Programm, das mir am Karfreitag 2022 zur Hauptsendezeit angeboten wird, gibt Rätsel auf: Ist der «Der König von Palma» ein Jesus auf Mallorca? – Werde ich mit «Was vom Tage übrigblieb» zu einer Passionsmeditation eingeladen? – Ist «Titanic» eine Parabel auf ein Schiff, das sich Kirche nennt? – Und ist der «Der Alte» am Ende eine respektlose Jesus-Parodie?

Natürlich alles ganz falsch gefragt. Mit Jesus hat das Osterprogramm nur noch an seinen Rändern zu tun. Ein paar Gottesdienste, einige Dokumentationen, etwas sakrale Musik. Alles sehr ernsthaft und gediegen. Aber Bibelfilme mit vielen bunten Bildern? Fehlanzeige!

Wie schade um «Ben Hur», dieses Juwel unter den Jesusfilmen. Erdacht von einem General der amerikanischen Streitkräfte: Lewis Wallace (1827–1905). Dessen Motivation war nicht etwa streitbare Frömmigkeit, sondern beschämende Ahnungslosigkeit. Als sich in einem Gespräch unter Soldaten ein Offizier über Jesus lustig machte, wusste General Wallace nämlich schlicht und einfach nichts darauf zu erwidern.

Also begann der studierte Jurist, sich intensiv mit Jesus und der Bibelforschung zu beschäftigen. Daraus wurde «Ben Hur», ein Prototyp des historischen Romans. Gläubig wurde Wallace, wie er später berichtete, erst bei der Arbeit an diesem Buch, dessen vollständiger Titel übrigens «Ben Hur – A Tale of the Christ» lautet. Nur die Bibel wurde im 19. Jahrhundert öfter verkauft als dieses Werk.

Dennoch blieb Wallace seiner heimlichen Hauptfigur gegenüber äusserst respektvoll. Für die Theaterfassung, die er selbst schrieb, verfügte er, dass Jesus nur als Lichtstrahl gezeigt werden dürfe. An diese visuelle Zurückhaltung hielt sich ein halbes Jahrhundert später auch der Regisseur William Wyler. So bombastisch er mit allem auftrumpft, was Cinemascope zu bieten hat, immer wenn es um Jesus Christus geht, schlägt er die leisen Töne an.

Text: Thomas Binotto