«Kommentare machen  die Bilder eng»

Portrait

«Kommentare machen die Bilder eng»

Erich Langjahr gehört zu den bedeutendsten Dokumentarfilmern der Schweiz – und er ist sicher ihr eigenwilligster. Ein Gespräch zum Start seines Filmes über Paracelsus.

Das grosse Holzhaus von Erich Langjahr steht auf einem Moränenhügel am Ende einer Quartierstrasse in Root im Kanton Luzern. Vom Balkon aus sieht man im Osten den Kirchturm von St. Martin und im Westen die Türme der Kehrrichtverbrennungsanlage in Perlen. Schaut man geradeaus, steht dort ein hölzernes Kreuz.

Die Landschaft mit ihren menschlichen Spuren ist eine wichtige Protagonistin in den Filmen von Erich Langjahr. Sein neuester Film: «Paracelsus. Ein Landschaftsessay». «Eigentlich ist es ein Film über den Paracelsus-Forscher Pirmin Meier», sagt Langjahr.

Wie kein anderer hat sich Pirmin Meier sein eigenes Bild gemacht vom landfahrenden Arzt und Laien-Theologen Theophrastus von Hohenheim, genannt Paracelsus. Der Historiker kennt die fragmentarischen Quellen und die landschaftlichen Spuren des Renaissance-Gelehrten. Er nimmt die Zuschauenden mit auf seine eigensinnige, assoziative Reise, die am Fusse des Etzels im Kanton Schwyz bei der Geburtsstätte von Paracelsus beginnt.

«Mir gefallen eigensinnige Menschen, die dazu stehen, was sie denken, auch wenn es so nicht im Lehrbuch steht», erklärt Langjahr. «Wie Paracelsus, der die Medizin seiner Zeit kritisierte und von dem überliefert wird: ‹Wer in sich selber kann bestahn, gehöre keinem anderen an.›» In diesem Sinne sei auch er eigensinnig und der für seine kritische Detailwut bekannte Biograph Pirmin Meier ebenfalls.

Das Leben sei viel zu kurz, um die Spuren dieser Welt allein zu finden, tief zu schürfen und zu verstehen, was sich dahinter verberge, sagt der Filmemacher. Mit dem Protagonisten seines neuen Filmes habe er einen Menschen und über die Jahre einen Freund gefunden, der für ihn viele Spuren gefunden habe und sie einordnen könne.

«Wer bin ich? Wo komme ich her? Was hat mich geprägt? Diese Fragen motivieren mich, meine Filme zu machen.» Der Zeitzeuge befragt in seinen Filmen die Traditionen auf ihren Wert für die Gegenwart und Zukunft. Es widerstrebe ihm, pessimistische Bilder zu zeichnen.

Die Kritik an der modernen Welt kommt in seinen Filmen mit einer guten Prise Humor. Etwa dann, wenn Pirmin Meier sich am Sonntagabend neben einem Bildstöckli an der Kantonsstrasse vor die Kamera stellt, zu seinen Ausführungen ansetzt und nicht zu Wort kommt, weil die Autokolonne nicht abbricht.

Pirmin Meier mit Johanniskraut im Kräutergarten. Foto: langjahr-film.ch

Filme für eine andere Welt

Seine erste Kamera hat sich Erich Langjahr mit 20 Jahren gekauft. Er machte einen Kurzfilm über Justice Olson, der an der Bahnhofstrasse Flöte spielte, bis die Polizei kam und ihn mitnahm. Dass sein Protagonist mit dem Namen Justice mit der Justiz in Konflikt kam, sei ein seltsamer Zufall.

Aber an Zufälle mag er nicht recht glauben. Immer deutlicher habe er in seinem Leben gespürt, dass alles mit allem verbunden sei. «Verrückt!», sagt Langjahr und streicht sich seine grauen Haare zurück, «hinter allem gibt es einen grossen Plan.» Wir sitzen in seinem Büro im oberen Stock des Hauses. An der Wand hängen die Plakate seiner Filme.

Filmemachen war für ihn der Ausweg aus einer Welt, die ihn vor einen grossen Widerspruch gestellt hatte. Als Chemielaborant arbeitete er bei Dow Chemical in Horgen. Das Chemieunternehmen stellte damals Agent Orange her, das die amerikanische Armee im Vietnamkrieg eingesetzte. «Ich wollte mit meiner Arbeit einen Beitrag für eine andere Welt leisten.» Er brachte sich das Fotografieren und Filmen selbst bei.

Paracelsus-Denkmalstein bei der Teufelsbrücke in Egg SZ. Foto: langjahr-film.ch

Seit gut 50 Jahren macht Erich Langjahr Filme. Seit 1987 mit seiner Frau Silvia Haselbeck, die neben der Tonarbeit in allen Phasen der Filmentstehung, der Produktion und des Verleihs beteiligt ist. «Ohne meine Frau geht das alles nicht», sagt er. Sie sehe seine Bilder als Erste, sie sei sein kritisches Gegenüber, seine Partnerin.

Dass er auf ein gelungenes Berufsleben zurückschauen könne, sei nicht selbstverständlich. Die Schulzeit sei ein grosser Frust für ihn gewesen. Die Lehrerin zwang den linkshändigen Erstklässler dazu, mit der rechten Hand zu schreiben. Nach ein paar Jahren war der perfektionistische Primarschüler mit seiner Schrift zufrieden. Die Freude an der Schule hatte er aber verloren.

Eine prägende Erfahrung hatte Langjahr bereits im Kindergarten gemacht. Damals begegnete ihm zum ersten Mal der Katholizismus in der Person einer Menzinger Schwester. Streng sei sie gewesen, aber auch mysteriös. Sie hängte drei Herzen an die Wand. Das schwarze Herz sei das eines Heidenkindes, erklärte die Ordensschwester. Das schwarz gesprenkelte sei das Herz eines ungetauften katholischen Kindes. Und das weisse sei das Herz eines getauften katholischen Kindes.

«Mich gab es nicht. Ich habe darunter gelitten, in einem katholischen Land nicht katholisch zu sein.» So erzählt es Langjahr in seinem Film «Ex Voto» von 1986. Fasziniert von der Liturgie habe er sich an der Erstkommunion-Feier seiner Freundin in die hinterste Kirchenbank geschlichen, erinnert er sich. Die Faszination am Kulturchristentum, wie er es nennt, hat er nie verloren.

Erich Langjahr, März 2022 im Kino RiffRaff Zürich. Foto: langjahr-film.ch

Und woran glaubt der Filmemacher?

Der alte Mann schweigt lange, setzt an, bricht ab, lacht verlegen. Er denke zurzeit viel über den Glauben und die Endlichkeit nach. «In meiner Gläubigkeit bin ich fahrig», gesteht er und streicht immer wieder über seinen Kopf. «Natürlich glaube ich, dass es etwas gibt jenseits der Moleküle, es gibt einen Plan hinter allem, den ich spüre, wenn ich die Natur betrachte.»

Wahrheit findet der Filmemacher aber auch auf der Leinwand. Die Geschichten, die wahr werden auf der Leinwand, seien die Geschichten in den Köpfen des Publikums. «Mit Kommentaren mache ich meine Bilder nur eng.» Darum will Erich Langjahr eigentlich gar nicht über seine Filme sprechen und scheut die Zeit, die nun kommt, wenn er das Werk in die Kinos begleitet.

Text: Eva Meienberg, kath.ch