Ohnmacht als Türöffnerin

Editorial

Ohnmacht als Türöffnerin

Karsamstag ist der Tag, der Tod, Leere und Dunkelheit aushält.

Unsere Welt kommt mir gerade wie ein verlängerter Karsamstag vor. Krieg nicht nur in der Ukraine, sondern auch an vielen fast vergessenen Orten der Welt. Menschen, die leiden wegen Vertreibung, Menschen, die leiden, weil man sie in Kollektivschuld nimmt. Und Menschen, die unter den Folgen des Klimawandels leiden – je länger je mehr. 

Und manchmal muss man gar nicht in die weite Welt schauen. Innerhalb unserer Familien, unter Freunden, im Arbeitsumfeld und nicht zuletzt in der Kirche gibt es Situationen, die belasten und unveränderlich erscheinen.

Nach der Überlieferung ist Jesus am Tag seiner Grabesruhe, also am Karsamstag, in die Unterwelt hinabgestiegen, wo er die Seelen der Gerechten, die seit Adam dort der Auferstehung harrten, befreit hat. 

Vielleicht begegnen wir gerade in unserer inneren Dunkelheit und Ohnmacht dem, der auch in unsere eigene innere «Unterwelt» hinabgestiegen ist? Kürzlich las ich: Wer Ohnmacht bewusst wahrnimmt und aushält, dem wird sie zur «Einladung, sich als Teil eines grösseren Ganzen zu erkennen», ja letztlich zur «Türöffnerin zu mir selber und zu Gott». 

Ohnmacht als Türöffnerin zu einer Begegnung, aus der ich Kraft schöpfen kann – zum Aushalten, aber auch zum Handeln. Und zum Verstehen, wann das eine, und wann das andere gefragt ist. Denn es geht nicht darum, in Aktivismus zu verfallen, über meine Kräfte hinaus zu gehen – oder noch schlimmer, anderen mit meiner vermeintlichen Hilfe Lösungsideen aufzudrängen, so dass sie selber ihre eigenen inneren Kraftquellen nicht mehr anzapfen können. 

Dann wird es Ostern: wir feiern das Leben. Ein Leben, das durch die Ohnmacht, die Leere und den Tod hindurch gegangen ist.