Zweiräder ziehen Kreise

Reportage

Zweiräder ziehen Kreise

In Wetzikon wurde aus einer Velobörse ein vielfältiges Sozialprojekt – begründet und mitgetragen von den Kirchen.

Konzentrierte Stille. Nur ab und an der Klang von Metall auf Metall, wenn ein Schraubenschlüssel auf eine Mutter trifft. Vier Männer beugen sich in einer Werkhalle über zwei Velos. Wie jeden Donnerstag reparieren Kurt, Erwin, Hans, Köbi und Beat hier im Zentrum von Wetzikon Velos, die an Menschen mit schmalem Budget oder nach Afrika gehen. Immer wieder überholen hier auch Menschen ihr Velo, die nicht genug Geld für den Mechaniker haben.

Am Beginn der Veloprojekte in Wetzikon stand die 2005 gegründete Velobörse, die noch heute grösste der ganzen Region. Viele Menschen wollten Velos spenden, die sie nicht verkaufen konnten. Und Stephan Pfister, Mitveranstalter und Sozialarbeiter der katholischen Pfarrei Wetzikon, kannte Familien, die gerne Velo fahren wollten, sich aber keines leisten konnten. Für deren Kinder bedeutet das: keine Teilnahme am Veloausflug der Klasse. Und für die Eltern nur seltene Besuche in der Stadt, weil das Busbillett zu teuer war. Stephan Pfister vermittelte dann unkompliziert zwischen Spenderinnen und finanziell benachteiligten Menschen – so entstand nach und nach ein erstaunliches Netz von sozialen Projekten rund um das Velo.

Mittlerweile können Spenderinnen ihre Fahrräder ganzjährig an der Velostation am Bahnhof Wetzikon abgeben und dabei bestimmen, ob ihr Rad an Hilfsprojekte in Afrika oder an bedürftige Menschen vor Ort gehen soll. Die gespendeten Velos werden in der Veloreparierbar instandgesetzt. Wenn sie wieder fahrtüchtig sind, kann man sie gegen einen Gutschein erwerben. Dieser wird von den kirchlichen Sozialdiensten an Kulturlegiberechtigte abgegeben. So wechseln jährlich viele Velos ihre Besitzer.

Aus der anfänglich provisorischen Werkstatt auf engstem Raum wurde im Laufe der Zeit eine grosszügige, gut ausgestattete Werkhalle. Die Räumlichkeiten stellt die Stadt zur Verfügung. Mittlerweile trägt Roman Schenk, Sozialdiakon der reformierten Kirche, die Verantwortung für die Veloreparierbar.


Sozial bedeutet gemeinsam

Die enge Zusammenarbeit zwischen reformierter und katholischer Kirche, Stadt und Unternehmen wie VeloPlus und dem Grafikbüro typo-graphic ist Dreh- und Angelpunkt der Wetziker Veloprojekte. Um diese zu ermöglichen, bedurfte es der Offenheit aller Beteiligten. Stephan Pfister sieht es so: «Der Schlüssel für eine fruchtbare Zusammenarbeit besteht darin, dass wir uns alle als Menschen begegnen, die gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten.» Christoph Hotz, Bereichsleiter für Beschäftigung und Integration der Stadt Wetzikon, ergänzt: «Es gibt hier keine Hierarchien. Es spielt auch keine Rolle, wer von der katholischen Kirche kommt, wer von der reformierten und wer von der Stadt.»

Velofahren leicht gemacht

Schnell musste die engagierte Projektgruppe feststellen, dass einige Wetzikerinnen zwar sehr an einem Zweirad interessiert waren, aber nie gelernt hatten, ein Velo auch zu fahren. Aus diesem Grund wurde die Velofahrschule ins Leben gerufen. An 14 verschiedenen Terminen im Juni und Juli können nun Interessierte das Velofahren lernen.

Wann man es nicht gewohnt ist, das Gleichgewicht auf zwei Rädern zu halten, wird es zur Herausforderung, gleichzeitig zu fahren, über die Schulter zu blicken und die Hand zum Abbiegen auszustrecken. Die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer lernen deshalb anfangs auf Trottinetts, die Balance zu halten. Es folgt eine Art Laufrad, bis der Parcours schliesslich auf dem Velo bewältigt wird.

Das viele Üben hat Kardelen Armani (Name geändert) wieder Zutrauen in ihre Fahrsicherheit gegeben. Nachdem die dreifache Mutter auf der Velobörse ein Velo geschenkt bekommen hatte, stürzte sie und traute sich danach nicht mehr aufzusteigen. Heute fährt sie selbstbewusst und sicher mit ihrem Velo durch Wetzikon.

Für viele ist das Velo das einzige Fortbewegungsmittel, das sie besitzen, so beispielsweise für Ekrem Iseni. Nun steht er mit seinem neuen Velo in der Werkstatt. Er hat es erst letzte Woche gegen einen Gutschein eingelöst. Ekrem Iseni hat selbst mehrere Jahre in der Velostation und in der Reparierbar mitgearbeitet, bereitete Velos für die Verschiffung nach Afrika vor oder erledigte als gelernter Installateur verschiedene Montagearbeiten.

Heute kann er wegen einer Erkrankung an Herz und Rücken nicht mehr arbeiten. Sein sonniges Gemüt hat er dennoch bewahrt. Er schätzt die Veloreparierbar deshalb auch als Treffpunkt: «Wenn man keinen Job hat, so trifft man hier wenigstens andere Leute. Das ist besser, als zu Hause zu bleiben.»

Immer wieder betonen die Freiwilligen der Velogruppe, dass sie keine Konkurrenz zu etablierten Velomechanikern sein wollen. Weil die Menschen, die hier ihre Velos instand setzen lassen, sich keinen Mechaniker leisten können, bleibt ihnen nur die Wahl, entweder gar nicht mehr zu fahren oder mit einem kaputten Velo. Insofern leistet die Wetziker Velogruppe auch einen Beitrag zur Sicherheit auf den Strassen.

Stephan Pfister steht als Sozialarbeiter kurz vor seiner Pensionierung. Dennoch hat er einen Traum: «Es wäre schön, wenn andere Gemeinden ähnliche Projekte ins Leben rufen würden.» Das Knowhow der Wetziker Velogruppe ist gross. Es wartet nur darauf, weitergegeben zu werden.

Text: Miriam Bastian, freie Mitarbeiterin