Dramatische Auswirkungen des Krieges

Bericht aus Jerusalem

Dramatische Auswirkungen des Krieges

Die Welt schaut auf Kiew und Moskau. Der konfliktreiche Nahe Osten ist auf einmal eine Randnotiz des Weltgeschehens. Dabei haben sich längst die Mahner zu Wort gemeldet, die vor dramatischen Auswirkungen des Ukrainekriegs auf Nahost warnen.

Da sind die ohnehin fragilen Länder der Region Nahost-Nordafrika (MENA), deren Nahrungsmittelsicherheit schon vor der russischen Invasion der Ukraine gefährdet und deren Bevölkerungen vom Hunger bedroht waren. Weite Teile des Getreides importieren die MENA-Länder aus Russland und der Ukraine. Bereits jetzt sind die Preissteigerungen spürbar. In Ländern wie Libanon, Syrien und Jemen treffen sie auf Menschen, die vielfach unterhalb der Armutsgrenze leben. Ägypten stabilisiert durch Subventionen und Preisdeckelungen den Brotpreis – und mit ihm die Lage im Land. Teureres Brot könnte im Land am Nil für Unruhen sorgen: Schon im Arabischen Frühling forderten die Ägypter auf dem Tahrir-Platz «Brot, Freiheit, Menschenrechte».

Da ist die Angst, die etwa der für das US-Nahostkommando zuständige Militär Erik Kurilla äusserte: Der Krieg könnte auf Nahost übergreifen, etwa auf Syrien, wo Russland bereits über einen Stützpunkt und Truppen verfügt. Entsprechend wenig verwunderlich war die klare Positionierung des Landes auf russische Seite – zu viel hat Präsident Baschar al-Assad Putin zu verdanken. Sollten sich russische Berichte über syrische und irakische Milizionäre an seiner Seite bewahrheiten, wäre dies «eine unerwünschte Eskalation» und ein Hineinziehen des Nahen Ostens in den Krieg, warnte der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa, unlängst in einem Interview mit «TV 2000».

Da ist der machtpolitische Status quo der Region, der laut Experten durch den Krieg im Osten erschüttert werden könnte. Player wie Saudi-Arabien, die Türkei und Katar könnten versuchen, ihren Einfluss in der Region auszubauen, zwischen den Grossmächten China, Russland und den USA könnte es zu einem strategischen Wettbewerb kommen. 

Und da ist der Iran, der nicht nur in Nahost als massive Bedrohung ange-sehen wird. Der Ukrainekrieg jedoch lenkt die Aufmerksamkeit gewaltig von dieser Front ab. Eine mögliche Neuauflage des Atomabkommens mit dem Iran wird nicht zuletzt durch Russland ausgebremst, ganz im Sinne israelischer Interessen. Die Kooperation mit Russland ist für Israel auch mit Blick auf Syrien wichtig, will Israel Waffenlieferungen zwischen Iran, Syrien und dem Libanon stoppen. Entsprechend schwer tut sich Israel, sich ähnlich eindeutig zwischen Russland und der Ukraine zu positionieren, wie es der Westen getan hat. Die Vermittlerrolle, auf die das kleine Land mit guten Beziehungen zu beiden Konfliktparteien setzte, blieb bisher ohne nennenswerten Erfolg.

In der Negev-Wüste kamen Ende März die Aussenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrains, Marokkos und Ägyptens mit Israels Aussenminister Jair Lapid und US-Aussenminister Tony Blinken zusammen. Auch hier waren Ukraine und Iran die dominierenden Themen. Zusammen gegen den Iran, lautete dabei die einende Position der arabischen Teilnehmer und Israels. Sie könnte einen Paradigmenwechsel andeuten mit ungewohnten nahöstlichen Allianzen nicht nur gegen den Iran, sondern auch gegen die USA. Das Atomabkommen, das die USA als bislang wichtigster Verbündeter Israels retten will: Den anderen Gipfelteilnehmern ist es ein Dorn im Auge.

Text: Andrea Krogmann