Nachhaltigkeit: Kirche in der Pflicht

Interview

Nachhaltigkeit: Kirche in der Pflicht

Der Synodalrat hat «Nachhaltigkeit» zum Ziel für die Legislatur  2019–2023 erklärt. Was wurde bislang erreicht? Wir haben bei der  zuständigen Bereichsleiterin Susanne Brauer nachgefragt.

Zum Einstieg die Grundsatzfrage: Weshalb geht Nachhaltigkeit die Kirchen etwas an?

Weil wir der Schöpfung Sorge tragen sollen. Dazu gehört auch das Klima, denn starke Veränderungen wie in der aktuellen Klimakrise haben Auswirkungen auf Pflanzen, Tiere und Menschen. Dabei werden die Menschen in verschiedenen Regionen der Welt nicht gleich betroffen. Was wir hier schon schrecklich finden – die Sturmschäden und Überschwemmungen –, das bekommen Menschen in armen Ländern noch viel härter zu spüren. Nachhaltig zu leben, ist deshalb auch ein Ausdruck der Geschwisterlichkeit. Und schliesslich: Die Kirche besitzt viele grosse Gebäude. Die müssen beheizt werden. Rund 50 % des gesam-ten Ausstosses von Treibhausgasen kommen aus dem Gebäude- und Energiebereich. Ganz praktisch gesagt: Wenn die Kirchgemeinden hier ansetzen, können sie viel bewirken.

Wo kann die Kirche sonst noch ansetzen?

Ein weiterer bedeutender Bereich ist das Gemeindeleben. Unter dem Dach der Kirche kommen viele Menschen zusammen. Sie feiern Messen, treffen sich zu Seniorennachmittagen, essen gemeinsam. Da gibt es viele Möglichkeiten zur Nachhaltigkeit. An der ökumenischen Tagung «Essen bewegt!» wurden konkrete Beispiele aufgezeigt, wie man Foodwaste vermeiden oder für soziale Zwecke nutzen kann. Berechnungen zeigen, dass wir unseren CO2-Verbrauch um bis zu einem Drittel senken können, wenn wir bewusster essen. Wichtige Fragen sind dabei: Was essen wir? Woher kommen die Nahrungsmittel? Vielen ist zudem nicht bewusst, dass die Herstellung von Fleisch und Milch sehr viel CO2 produziert.

Welche Überlegungen gibt es zur Mobilität?

Wie wir uns innerhalb der Gemeinde fortbewegen, ist von Bedeutung. Fahren wir mit dem ÖV oder fahren alle einzeln mit dem Auto zur Messe? Wie organisieren wir unsere Ausflüge? Pilgern oder fliegen wir nach Rom? Die Kirche möchte ein Ort sein, an dem wir darüber nachdenken können, was uns wichtig ist und wie wir zusammenleben wollen. Die Kirche kann gesellschaftlich einen bedeutenden Beitrag leisten, wenn sie glaubhaft Werte wie Achtung, Respekt, Bewahrung der Schöpfung, einen schonenden Umgang mit unseren Ressourcen und Genügsamkeit vertritt.

Wenn das alles so wichtig ist, weshalb wurde «Nachhaltigkeit» erst 2019 zum Legislaturziel?

Es gibt schon lange Initiativen der Schweizer Landeskirchen, die sich für den Schutz der Schöpfung einsetzen, beispielsweise den Ver--ein «oeku Kirchen für die Umwelt». Vertreter der Kirchen sind zudem seit deren Gründung Teil der Klima-Allianz Schweiz. Das Thema hat dann mit den päpstlichen Schreiben «Laudato si» und «Fratelli tutti», mit den Klimakonferenzen und mit «Fridays for Future» nochmals neuen Aufschwung bekommen. Die Dringlichkeit ist uns noch bewusster geworden. Der Moment, in dem die Erderwärmung so gross sein wird, dass wir sie nicht mehr stoppen können, ist in Sichtweite gerückt. Wenn wir das Klimaziel, eine maximale Erderwärmung von 1,5 Grad, nicht erreichen, wird die Schöpfung einen irreparablen Schaden davontragen.

In welchen Punkten wurde das Legislaturziel bislang umgesetzt?

Erstens in der Nachhaltigkeitsstrategie. Es war ein grosser Schritt, dass diese nun vom Synodalrat im Einvernehmen mit dem Generalvikar verabschiedet wurde. Zweitens hat die Körperschaft Gelder und Personal zur Verfügung gestellt, um diese auch umzusetzen. Die katholische Kirche im Kanton Zürich hat eine neue Projektleitungsstelle für Nachhaltigkeit eingerichtet. In Zukunft können sich Kirchgemeinden mit allen Anliegen im Bereich Nachhaltigkeit an den Projektleiter Kevin Ischi wenden. Drittens wird aktuell das Baubeitragsreglement überarbeitet. Es legt fest, wofür Kirchgemeinden Gelder von der Körperschaft erhalten, wenn sie Gebäude renovieren. In Zukunft sollen vor allem ökologische Sanierungen belohnt werden. Das alles wurde auf kantonaler Ebene erreicht. Aber auch einzelne Kirchgemeinden sind teilweise schon sehr weit. Manche wurden mit dem «Grünen Güggel» ausgezeichnet. Dafür muss die Kirchgemeinde einen Zertifizierungsprozess durchmachen und sich als nachhaltig erweisen.

In welchen Bereichen setzt die Nachhaltigkeitsstrategie an?

Sie besteht aus zehn Bereichen, in denen die Kirche wirksam werden möchte: Energie, Kommunikation, Engagement, Schöpfungsspiritualität, Kooperation und Partnerschaften, Konsum, Abfall, Mobilität, Finanzen und Biodiversität. Der Gebäudebereich ist dabei am wichtigsten, weil hier am meisten CO2-Ausstoss vermieden werden kann. Es geht deshalb darum, die bestehenden Gebäude so zu sanieren, dass sie energieeffizienter werden.

Welche Rolle spielt in diesem Prozess Kevin Ischi als Projektleiter?

Er soll sicherstellen, dass die Kirchgemeinden die Nachhaltigkeitsstrategie und die Vorgaben des Baubeitragsreglements kennen, damit sie uns frühzeitig einbeziehen, wenn sie Renovationen planen. Die Verantwortlichen in den Gemeinden erfahren, wo sie Unterstützung erhalten können, wenn sie eine Veranstaltung oder ein Projekt planen, das mit Nachhaltigkeit zu tun hat.

Zudem wird Kevin Ischi die Kirchgemeinden bei Erhebungen unterstützen, beispielsweise darüber, wie viele schädliche Emissionen sie beim Heizen oder durch Autofahrten erzeugen. Die Kirche im Kanton Zürich bietet allen Gemeinden eine Treibhausgasbilanzierung durch die Firma South Pole an. Damit kann jede Kirchgemeinde sehen, wie sich ihr CO2-Ausstoss verändert – und hoffentlich verringert. Für die Gemeinden, die hier mitmachen, wird es Prämien geben.

Zur Nachhaltigkeitsstrategie gehört auch die Kommunikation. Weshalb wird diese speziell betont?

Sie ist wichtig, um die Gemeinden zu motivieren. Die Kirchgemeinden im Kanton Zürich geniessen eine grosse Autonomie. Die Synode kann ihnen nicht vorschreiben, wie sie sanieren müssen, oder sie zu einer Treibhausgasbilanzierung zwingen. Man muss sie von der guten Sache überzeugen. Umso wichtiger sind Erfolgsgeschichten von Kirchgemeinden, die zum Beispiel Solarpanels auf ihr Dach gesetzt haben. Es soll einen Erfahrungsaustausch zwischen den Gemeinden geben. Auch das kann die Kirche auf kantonaler Ebene leisten.

Und wie soll das persönliche Engagement konkret gefördert werden?

Die Körperschaft will verschiedene Projekte von Freiwilligen unterstützen. Es kann sich zum Beispiel um Initiativen für mehr Biodiversität handeln. Biodiversität wird auch das Thema der nächsten ökumenischen Impulsveranstaltung sein. Gemeinden bestehen nicht nur aus Gebäuden, sondern auch aus Flächen. Wie können wir Flächen so gestalten, dass sich möglichst viele verschiedene Tiere und Pflanzen darin wohlfühlen? Eine Gemeinde könnte beispielsweise eine ehemalige Asphaltfläche zu einer Grünfläche mit verschiedenen einheimischen Blumen, Bäumen und Sträuchern umbauen.

Wie steht die Körperschaft zum Umweltzertifikat «Grüner Güggel»?

Natürlich fördert die katholische Kirche im Kanton Zürich auch den «Grünen Güggel». Wer mitmacht, bekommt dafür Geld von der Körperschaft. Bei den drei Handlungsfeldern Energie, Kommunikation und Engagement kann die kantonale Kirche am besten unterstützen. Auf die übrigen Bereiche haben die Pfarreien und die Gemeindemitglieder den grössten Einfluss.

Welche Hürden gibt es bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie?

Die grösste Herausforderung ist die föderale Struktur der Kirche. Der Erfolg der Nachhaltigkeitsstrategie steht und fällt mit den einzelnen Kirchgemeinden. Gleichzeitig liegt im Föderalismus auch eine Chance. Die einzelnen Gemeinden können kreativ werden.

Im Vorwort der Nachhaltigkeitsstrategie schreiben Sie, die Kirche möchte Vorbild sein. Müssten die vorgeschlagenen Massnahmen nicht ehrgeiziger sein?

Es ist wichtig, dass die Gemeindemitglieder erfahren, wie sie selbst wirksam sind und werden können. Wenn wir die Latte zu hoch hängen, kann uns das überfordern. Um das zu vermeiden, gehen wir einen Weg der kleinen Schritte und feiern auch kleine Erfolgserlebnisse. In den Kirchgemeinden sind viele Freiwillige aktiv. Es soll Spass machen, sich zu engagieren, und es soll auch mit Lust und Genuss verbunden sein. Am besten geschieht dies in Gemeinschaft.

Was können Einzelne zum Erfolg der Nachhaltigkeitsstrategie beitragen?

Es wäre toll, wenn möglichst viele Menschen das Thema in die Kirchgemeinde tragen könnten und sich dort in Gruppen über die Frage austauschen: «Was können wir als Kirchgemeinde tun?» Wenn daraus eine Veranstaltung zum Thema Nachhaltigkeit werden soll oder man ein grösseres Projekt durchführen möchte, dazu aber die finanziellen Mittel oder das Know-how fehlen, dann kann man sich an uns wenden.


Leserbrief

Da ist Ihnen eine sehr schöne Nummer gelungen. Es zählt jede Kirche, jedes Gebäude. Das kommt gut heraus beim Schwerpunkt. Eine kleine Kritik bloss am Kaleidoskop von Claudia Gabriel: Diese Seite lesen doch viele Menschen. Darum wäre es am Schluss noch besser gewesen, zu schreiben: «... und in meiner Alu-Sammlung entsorgt.» Bierbüchsen sind meist aus Aluminium.
Erna Straub-Weiss, Oberstammheim

Text: Miriam Bastian