Missbrauchs-Aufarbeitung stockt

Bericht aus dem Vatikan

Missbrauchs-Aufarbeitung stockt

Eine Untersuchung über sexuellen Missbrauch durch Priester in Italien wird hierzulande kontrovers diskutiert. 

Obwohl sich schon mehrere Kirchenvertreter dazu kritisch geäussert haben, will die Kirche in Italien nun versuchen, einer nationalen, externen Untersuchungskommission den Auftrag zu erteilen, die letzten 70 Jahre aufzuarbeiten. Diese Kommission wird allerdings frühestens Ende Mai installiert werden können. Denn Ende dieses Monats – vom 23. bis 27. Mai – wird der neue Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz nach Ablauf der fünfjährigen Amtszeit von Gualtiero Bassetti, Kardinalerzbischof von Perugia – Città della Pieve, gewählt.Aber vor allem kann eine solche Untersuchungskommission erst dann mit ihrer Arbeit beginnen, wenn die italienischen Bischöfe mehrheitlich davon überzeugt sind, dass die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle national angegangen werden muss. 

In dieser Frage sind die Bischöfe des Belpaese bisher gespalten. «Es gibt einige, die behaupten, dass die Aufarbeitung nicht notwendig ist, oder dass dies nicht – wie in Deutschland und Frankreich – einer externen Kommission anvertraut werden sollte. Stattdessen finden sie, dass die diözesanen Dienste für den Schutz von Minderjährigen genutzt werden sollten», erklärte ein hoher Prälat. 

Der bisherige Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Gualtiero Bassetti, rief in einem Interview mit dem «Corriere della Sera» dazu auf, auch in den italienischen Diözesen Ermittlungen durchzuführen, und warnte vor jeder Art von «nutzlosen und schädlichen Vorverurteilungen». 

Trotz der Signale von Papst Franziskus, und insbesondere von Jesuitenpater Hans Zollner, Präsident des Instituts für Anthropologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana, dem Franziskus die Prävention von sexuellem Missbrauch in der Kirche anvertraut hat, herrscht mehrheitlich Zurückhaltung. 

In einem kürzlich erschienenen Interview mit der Turiner Zeitung «La Stampa» erklärte Pater Zollner, dass «diese Untersuchungen, die objektiv durchgeführt und veröffentlicht werden, absolut notwendig sind. Das wäre auch in Italien nützlich, damit wir der Realität ins Auge sehen und nicht weiterhin behaupten, dass es in Italien keinen sexuellen Missbrauch gibt.»

Das Gewicht dieser Entscheidung, die viele Diözesen und Pfarreien erschüttern könnte, wird daher auf den nächsten Vorsitzenden der Bischofskonferenz fallen. Derzeit gelten drei Bischöfe als Favoriten für den Posten: Erio Castellucci, 51-jähriger Erzbischof von Carpi und Abt von Modena-Nonantola und stellvertretender Vorsitzender der Italienischen Bischofskonferenz; der 57-jährige Kardinal Augusto Paolo Lojudice, Erzbischof von Siena-Colle di Val d’Elsa-Montalcino; und der 66-jährige Kardinal Matteo Maria Zuppi, Erzbischof von Bologna und eine bekannte Persönlichkeit der Gemeinschaft Sant’Egidio. Aber bis zu dieser Wahl kann sich noch vieles ändern, zumal ein Papst wie Franziskus oft für überraschende Besetzungen wichtiger Posten gesorgt hat. Den Vorsitzenden der Bischofskonferenz wählt nämlich der Pontifex aus. Statutarisch ist der Papst als Bischof von Rom auch Primas der katholischen Kirche in Italien und «eigentlicher» Vorsitzender der Italienischen Bischofskonferenz.

Leserbrief

Wenn die italienischen Bischöfe noch überlegen müssen, ob die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle nötig ist, dann sind sie nicht glaubwürdig. Jahrzehntelang wurden sehr viele Kinder missbraucht und viele wussten Bescheid, leider schwiegen sie und sind dafür auch schuldig. Ich hoffe, dass bald eine Änderung kommt und nicht wieder unter den Tisch gekehrt wird – denn dann bleibt die Kirche bald ganz leer. 
Fr. Pendl  Zürich

Text: Mario Galgano