Denkmal auf Zeit

Narrenschiff

Denkmal auf Zeit

Ich fordere ein Amtszeitbeschränkung für Denkmäler auf 50 Jahre. Denkmäler haben nämlich eine fatale Neigung zum Standortkleber. Einmal aufgestellt, wird man sie kaum mehr los.

In einem futuristischen Zürich werden die Autos fliegen, weil es am Boden vor lauter Statuen kein Durchkommen mehr gibt. Ausser natürlich es wird ein Erinnerungsstopp verfügt. Das Stadtparlament müsste spätestens 2030 drastische Massnahmen gegen den Denkmalüberschuss beschliessen, weil sonst die Verdenkmälerung der Stadt nicht mehr aufzuhalten ist. Ab dann würden keine Menschen mehr für öffentlich gedenkwürdig erklärt.

Seit dem Historismus im späten 19. Jahrhundert werden Denkmäler vergöttert. Undenkbar, dass eines davon Platz machen muss. Aber selbst wenn wir ihren Bestand einfrieren, werden die bestehenden Denkmäler weiter wuchern. Die Erklärungstafeln werden immer ausführlicher und natürlich auch grösser werden, weil alle paar Jahre der aktuelle Forschungsstand zu Hans Waldmann und Konsorten nachgeführt werden muss. Unser Weg durch die Stadt wird mit QR-Codes gepflastert sein. Und an denkmalfreien Sonntagen verteilt man an die Stadtbevölkerung Augmented-Reality-Brillen zur Vorgaukelung einer freien Sicht auf die Stadt.

Deshalb mein Vorstoss zur Amtszeitbeschränkung: Nach 50 Jahren muss ein Denkmal weg. Selbst der Zwingli vor der Wasserkirche. Er darf allerdings durch ein neues Zwingli-Denkmal ersetzt werden. Damit werden die Zeit-genossen erstens zur Überlegung gezwungen, ob eine Figur an diesen Ort überhaupt noch hingehört. Und jede Generation muss sich mit ihrem Verhältnis zu dieser Figur auseinander-setzen. Schliesslich könnte es gar geschehen, dass die Denkmänner-Gesellschaft vielfältiger und farbiger würde.

Ich höre schon den entsetzten Ruf: «Gedenkschmälerung!» – Damit kann ich leben. Die Wörter «Statue» und «statisch» sind nicht zufällig verwandt. Etwas weniger «festgemauert in der Erden» würde dem Stadtleben bestimmt nicht schaden. Wehren würde ich mich allerdings gegen den Vorwurf der Erinnerungskulturlosigkeit. Im Gegenteil, die Amtszeitbeschränkung für Denkmäler würde unser Geschichtsbewusstsein vitalisieren. Im besten Falle käme es zur Gedenkvertiefung und Denkmäler würden zum Imperativ: «Denk mal!»

Und – by the way – die Rudolf-Brun-Brücke müsste dann nicht mehr nach einem Zürcher Bürgermeister aus dem 14. Jahrhundert benannt werden, der sich durch die Vertreibung und Ermordung von Juden persönlich massiv bereichert hat. In diesem Fall hat Zürich mit der Amtszeitbeschränkung übrigens bereits Erfahrung: Bis 1951 sind die Menschen an der gleichen Stelle über die Urania-Brücke gegangen.

Leserbrief

Gedenken scheint sinnvoll. Nur schon, um vor allem schlimme Begebenheiten in Erinnerung zu rufen und gegenzusteuern, damit sie nie wieder passieren. Doch tatsächlich schwindet nicht nur die Erinnerung, sondern besonders auch die Relevanz. So viele Denkmäler zu vergangenen Kulturen finden sich nicht mehr. Besonders die Jungen erinnern sich kaum noch. Der Jugend aber gehört die Welt. Am Beispiel von Rudolf Brun und der langen Liste ähnlich gelagerter «Persönlichkeiten», deren Errungenschaften mehr als zweifelhaft und teils extrem verklärt sind, zeigt sich die Richtigkeit Ihrer Überlegungen. 
Michael Weiss  Glattfelden

Text: Thomas Binotto