Rechtsberatung im Pfarreizentrum

Interview

Rechtsberatung im Pfarreizentrum

In der Pfarrei St. Gallus in Zürich können sich Menschen mit Rechtsfragen an die Juristin Karin Bingesser Stebler wenden – niederschwellig und kostenlos.

Frau Bingesser, wer kann zu Ihnen in die Rechtsberatung kommen?

Karin Bingesser Stebler: Jedermann und jede Frau. Unsere Rechtsberatung ist offen für alle und kostenlos.

Mit welchen Themen kommen die Menschen zu Ihnen?

Mit ganz unterschiedlichen Angelegenheiten. Erbrecht ist immer wieder ein Thema. Einige kommen beispielsweise mit ihrem Testament. Sie fragen, ob es so gültig ist, wie sie es geschrieben haben. Andere fragen, wer erben wird, wenn sie sterben, und was sie frei vererben können.

Was sind weitere Themen?

Bedingt durch die Pandemie kamen manche mit einer Patientenverfügung. Das ist ein Papier, das den Ärzten mitteilt, was sie tun sollen und was nicht, wenn man selbst nicht mehr ansprechbar ist. Einige haben anlässlich der aktuellen Situation erneut über die Frage nachgedacht, ob sie beatmet werden wollen, falls sie schwer erkranken. Viele Menschen möchten eigentlich nicht mehr von Maschinen am Leben gehalten werden. Im Fall einer Coronaerkrankung stehen die Chancen, wieder von der Beatmung wegzukommen, aber recht gut. Aus diesem Grund haben viele Hilfe gesucht, wie sie die Patientenverfügung so formulieren können, dass klar ist, dass sie bei einer Erkrankung wie Corona doch eine Beatmung wünschen.

Was haben Sie in diesen Fällen empfohlen?

Die Empfehlungen, die ich gebe, sind Hilfestellungen für die eigene Entscheidung. Ich kann sagen, wie die Rechtslage aussieht und was möglich ist. Letztlich müssen die Menschen selbst entscheiden, was sie wollen. In eine Patientenverfügung kann man nahezu alles hineinschreiben. So ein Auftrag kann sehr detailliert sein oder ganz oberflächlich bleiben.

Welche Themen gibt es ausserdem?

Die Rechtsberatung ist sehr vielfältig. Neben den genannten Themen sind Fragen zu Kinderzulagen oder der Niederlassungsbewilligung häufig. Ein Mann hatte beispielsweise im Ausland geheiratet und wollte, dass seine Frau zu ihm in die Schweiz kommen kann. Die Behörden erlaubten das aber nicht. Der Mann brachte den Negativentscheid zu mir und fragte, was er tun könne und wie er vorgehen müsse. Verfügungen von Behörden sind auch bei anderen Themen häufig der Auslöser, warum Menschen zu mir kommen. Manchmal geht es um die Miete, manchmal um Betreibungen. Oft verstehen die Menschen die Briefe der Behörden auch einfach nicht genau und fragen mich schlicht, was ein Brief zu bedeuten hat.

Inwieweit können Sie den Menschen helfen, die zu Ihnen kommen?

Ich kann eine Erstberatung anbieten. Wir können gemeinsam einen Brief aufsetzen oder ich kann meinem Gegenüber Adressen mitgeben, wo es weiterführende Hilfe für seinen Fall erhält. Die Menschen kommen ohne Anmeldung, sodass ich mich nicht vorbereiten kann. Eine Bibliothek gibt es vor Ort nicht. Wichtig ist, dass die Mandanten alle Dokumente mitbringen, die mir helfen können, den Fall genau zu verstehen. Je mehr ich weiss, desto genauer kann ich beraten.

Wie häufig bieten Sie die Rechtsauskunft an?

Einmal pro Monat. Die Termine stehen auf der Website. Wer etwas Dringendes hat, kann sich an die Pfarrei wenden. Ich rufe dann an oder schreibe ein Mail zurück.

Wie viel Zeit können Sie sich für die einzelnen Personen in Ihrer Sprechstunde nehmen?

Das kommt darauf an, wie viel Andrang es an dem Tag gibt. Wenn draussen eine Schlange an Wartenden steht, kann ich mir nicht ganz so viel Zeit nehmen wie an einem ruhigen Tag. Aber natürlich sollen die Menschen Zeit haben, ihren Fall zu schildern und ihre Geschichte zu erzählen. Bei manchen geht es gar nicht so sehr um die rechtlichen Fragen, sondern auch darum, dass sie mit jemandem über ihre Situation sprechen können. Ein Mann kam beispielsweise wegen gesundheitlicher Schwierigkeiten zu mir. Die IV-Abklärungen dauerten sehr lange. Er wollte wissen, ob das normal sei und ob er etwas unternehmen könne. Da ging es auch darum, dass er seine Geschichte schildern konnte.

Welche anderen Stellen bieten eine unentgeltliche Rechtsberatung an?

Gerichte haben in der Regel auch eine unentgeltliche Rechtsauskunft. Manche politischen Gemeinden haben ähnliche Angebote. In der Stadt Zürich läuft das beispielsweise über den Zürcher Anwaltsverband. Darüber hinaus gibt es Anlaufstellen für verschiedene Lebenssituationen, zum Beispiel die unabhängige Beschwerdestelle für das Alter.

Was bedeutet es, die Rechtsberatung in einer Pfarrei anzubieten?

Es ist eine Freiwilligenarbeit. Ich bekomme kein Geld dafür. Für die Beratung selbst spielt der christliche Hintergrund keine Rolle.

Was motiviert Sie für Ihr Engagement?

Ich habe das Gefühl, mir geht es so gut im Leben. Ich konnte diese Ausbildung machen, an die die Allgemeinheit gezahlt hat. Darum möchte ich der Allgemeinheit etwas zurückgeben und den Menschen konkret helfen, wenn es geht. Ich habe Freude daran, wenn die Menschen glücklich aus der Beratung gehen, weil sie die Stärkung bekommen haben, die sie gebraucht haben.

Text: Miriam Bastian, freie Mitarbeiterin