Warum die Tonhalle?

Editorial

Warum die Tonhalle?

Ich bin im Luzerner Seetal mit einer barocken Dorfkirche aufgewachsen. Als ich als Jugendlicher das erste Mal in der Tonhalle sass, fühlte ich mich deshalb ganz heimisch. 

Wenn ich meinen Blick im Konzertsaal zur Decke hob, blickte ich direkt ins Paradies, wo sich die Heiligen der Klassik tummelten.

Wir sprechen im Glauben ziemlich oft von Transzendenz. Aber ehrlich: Durchbrüche und Grenzüberschreitungen erlebe ich in unseren Gottesdiensten und in meinen Gebeten selten. Wenn ich jedoch Musik höre, dann geht mir das direkt ins Herz, dann erlebe ich die ganze Bandbreite von Emotionen, dann öffnen sich neue Räume und mein Horizont weitet sich.

Die Arbeit an diesem Themenheft zur Tonhalle hat vor über dreissig Jahren begonnen. Meine allererste Arbeit als Philosophiestudent war ein Essay über den grossen Tonhalle-Saal als sakralen Raum. Die erneuerte Tonhalle war nun der Anlass, sich einmal mehr auf diesen faszinierenden Ort und sein Orchester einzulassen.

Die Akustik des grossen Saals ist Weltklasse. Das Tonhalle-Orchester auch. Es erklingen Meisterwerke en masse. Das Publikum ist treu. Die Tonhalle ist Kulturgut. Und gleichzeitig: Die Architektur scheint aus der Zeit gefallen. Die Rituale des Konzertbetriebs auch. Viele Klassik-Fans legen Wert auf das E vor ihrer Musik. Dieses steht zwar nicht für elitär, aber «ernste Musik» klingt auch nicht einladend. Im Publikum sind junge Menschen stark in der Minderheit.

Wie präsentiert sich die Tonhalle im Jetzt? – Wie vermittelt sie ihre Werte heutigen Menschen?

Wer sich aus diesem Themenheft Anregungen für das Kulturgut «Kirche» und seine Vergegenwärtigung holen will: You’re welcome!




«Going Against Fate» | Dokumentarfilm | Schweiz 2008
Regie: Viviane Blumenschein
Der amerikanische Dirigent David Zinman und das Tonhalle-Orchester Zürich wurden während der Proben, der Konzerte und den Einspielungen zur 6. Sinfonie von Mahler begleitet. Zentrale Figur des Films ist Zinman als charismatische Persönlichkeit, die uns nicht nur emotional, sondern auch inhaltlich durch den Film führt. Seine Erzählungen über Mahlers persönliches Leben eröffnen uns die emotionale und musikalische Welt eines bedeutenden Komponisten. Gleichzeitig beobachten wir hinter den Kulissen das Zusammenspiel und den Weg von Dirigent und Orchester bis zur fertigen Aufnahme.

Text: Thomas Binotto