Fürs Leben lernen

Leben in Beziehung

Fürs Leben lernen

Wenn die Kinder die wirklich schöne Grundschulzeit hinter sich lassen, geht ein neuer Lebensabschnitt los. 

Zumindest dann, wenn die Kinder (und Eltern) entscheiden: Es soll das Gymnasium sein, das in Zürich nur mit Aufnahmeprüfung und Probezeit besucht werden kann. Und schon gerät das Eltern-Kind-Schule-Gefüge aus den Fugen. Wie viel lernen für die «Gymi-Prüfung» ist genug? Wer setzt sich wann mit dem Kind hin? Am Abend nach der Arbeit? Am Wochenende, gleich nach dem Frühstück? 

Wann legen WIR los? Dieses vereinnahmende «Wir» höre ich oft, vor allem vor dem Halbjahreszeugnis im Februar, Anfang März ist meist die Gymi-Prüfung. «Wir können uns nicht verabreden, wir müssen lernen. Wir sind nämlich knapp», sagte im Originalton ein viel arbeitender Vater, den ich bisher für nicht sehr involviert im Leben seiner Kinder hielt. Ich musste lachen – er dann auch. 

Geht es um das Gymnasium, hört der Spass auf. Da wird stundenlang nach der «richtigen» privaten und kostspieligen Vorbereitung für die Gymi-Prüfung gesucht. Gemeinsam an den Matheaufgaben geknobelt und heimlich nochmal die Zeitenfolgen für Deutsch gegoogelt, damit dem Kind geholfen werden kann. Dann wird auf die Grundschullehrer geschimpft, die zwar nett, aber nicht streng genug bei der Kontrolle der Rechtschreibung sind oder das kleine Einmaleins nicht genug mit den Kindern gedrillt haben. Die Gymi-Vorbereitung an der eigenen Grundschule wird als nicht angemessen verunglimpft. Wie auch das ganze System Grundschule, in dem nicht mehr als ein paar Liedchen eingeübt werden und alles auf Wohlfühlpädagogik ausgerichtet wird. 

Nach zweimal Gymi-Prüfung und zweimal Probezeit, die wir als Familie wortwörtlich durchgestanden haben, weiss ich ganz sicher: Wir werden niemals mehr nach 20 Uhr mit einem 12-jährigen Kind über dem Schulstoff brüten, denn Timing ist wichtiger als die Menge der Zeit. Und jedes Kind lernt anders. Keine Schule ist so wichtig, dass das Kind im Bett weint, weil es Angst hat vor der nächsten Prüfung. Wenn das vorkommt, steckt mir der Schreck in den Knochen. Und ja: Der Spass an der Schule bleibt wegen des Leistungsdrucks auf der Strecke, finden zumindest meine Teenager. Das spüren wir auch oft im Alltag. Kaum etwas gegessen, brüten beide im Zimmer über den Büchern bzw. ihren Schul-Pads. 

Aber wenn dann beide Kinder im nächsten Urlaub mühelos auf Englisch kommunizieren oder beim Essen ernsthafte Diskussionen mit Argument und Gegenargument geführt werden können, dann freue ich mich über die grundlegende Bildung, die beide frei Haus erhalten. Da zahlen wir auch gern 100 Franken pro Semester für das anachronistische «Kopiergeld», das ich vielleicht am nächsten Elternabend mal in Frage stellen werde. 

Leserbrief

Kinder lernen auch mühelos auf Englisch kommunizieren und ernsthafte Diskussionen führen, wenn sie in die Sek gehen. Es ist heuchlerisches und dünkelhaftes Mittelklassedenken, wenn man seine Mühen um Bildung, Werte und Weltanschauung von der Schulform abhängig macht und dem bildungsfeindlichen Zürcher Schulsystem Vorschub leistet, indem man den Wettbewerb unterstützt. Im Übrigen hat keiner meiner interessierten, wissbegierigen Söhne seine Grundschulzeit als wirklich schön empfunden. Schon früh wurden sie gewertet und entwertet, ruhiggestellt und mundtot gemacht, um in ein lachhaftes, der modernen Zeit nicht angepasstes Schulmodell zu passen. Nur wer anscheinend Geld und Zeit in die Hand nimmt, kann damit rechnen, dass das Kind (oder die investierenden Eltern) die entsprechende Bildung mit ins Leben nehmen kann. Da ist die Schweiz in der Frühzeit der Industrialisierung stecken geblieben. 
Cathrin Hosenfeld  Zürich

Text: Kerstin Lenz