Christliche Tradition in Jordanien

Bericht aus Jerusalem

Christliche Tradition in Jordanien

Unterentwickelt und dünn besiedelt war der Landstrich, den die Briten 1921 als «Emirat Transjordanien» aus dem Palästina-Mandat auslösten.

Ein verlorenes Stück Land zwischen Israel, dem Westjordanland Syrien, Irak und Saudi-Arabien, ohne Wasser und ohne Bodenschätze. Seither versucht sich das Land im Spagat zwischen dem Westen und der alteingesessenen, arabisch-beduinischen Kultur. 2021 feierte Jordanien sein 100-jähriges Bestehen und 75 Jahre Unabhängigkeit als Königreich. Ressourcenknappheit, eine schwierige Wirtschaftslage mit hohen Armuts- und Arbeitslosenraten und immer wieder das Auftauchen von islamistischen Ideen stellen Jordanien vor Herausforderungen. Trotzdem gelingt es dem Land, sich gegen Terror, für religiöse Mässigung, Dialog und Koexistenz starkzumachen. In einer schwierigen Region nimmt es damit eine ausgleichende Rolle ein.

Mittendrin: Jordaniens rund 180 000 Christen. Die christlichen Jordanier sind «Bürgerinnen und Bürger wie alle anderen und werden auch so behandelt», sagt Weihbischof Jamal Boulos Sleiman Daibes. Seit 2021 ist der Palästinenser im Auftrag des Lateinischen Patriarchen von Jerusalem mit den rund 45 000 lateinischen Katholiken im Königreich betraut. «Wenn Sie einen christlichen Jordanier fragen, fühlt er sich genauso arabisch, genauso beduinisch wie die anderen», sagt auch Renée Hattar, Direktorin des von Prinz Hassan ibn Talal gegründeten Königlichen Instituts für interreligiöse Studien (RIIFS) in Amman. «Anders als in anderen Teilen der Region», erklärt Hattar, «waren Jordaniens Christen schon Araber, bevor sie sich zum Christentum bekehrten – lange vor Beginn des Islam.» Mit der muslimischen Mehrheit des Landes geteilte Sprache, Kultur und Tradition lassen sie fest im Sattel der sozialen Identität sitzen. Jordaniens Christen, sagen christliche Gesprächspartner im Land, hätten keine nennenswerten Probleme, die sich auf die Religionszugehörigkeit zurückführen lies-sen. «Wenn junge jordanische Christen abwandern,» formuliert es Weihbischof Jamal, «dann aus den gleichen Gründen wie Muslime: weil sie Arbeit und ein wirtschaftliches Auskommen suchen.» Wenn es sie wirklich gibt, die oft beschworene Brückenfunktion arabischer Christen zwischen Orient und Okzident: christliche Jordanier wären prädestiniert. 

Wer «Heiliges Land» denkt, dem kommt nicht unbedingt der Landstrich am Ostufer des Jordanflusses in den Sinn. Und doch stellen etwa Jordaniens lateinische Katholiken mit 35 Pfarreien, 60 Kindergärten und Schulen sowie vielen katholischen Einrichtungen den grössten Teil des lateinischen Bistums Jerusalem. Zeuge ihrer langjährigen Präsenz sind zahlreiche frühchristliche Kirchenruinen. Biblische und frühchristliche Quellen stützen die jordanische Interpretation, nach der sich die Taufe Jesu «in Bethanien, auf der anderen Seite des Jordan» am Ostufer des Flusses zugetragen hat. Heute wird die Taufstelle unter dem Namen Al-Maghtas als Unesco-Weltkulturerbe geführt. Sie ist eine der christlichen Stätten, die Jordanien künftig durch einen Pilgerweg verbinden möchte. Führen soll er einst über Tel Mar Elias mit seiner Kirchenruine in der Nähe des Geburtsorts des Propheten Elias, den Berg Nebo, Madaba mit ihren Mosaiken und die Herodes-Festung Machaerus, an der laut Flavius Josephus Johannes der Täufer enthauptet wurde. 

Text: Andrea Krogmann