Jesuit mit vielen Wurzeln

Portrait

Jesuit mit vielen Wurzeln

Reformiert, ukrainisch griechisch-katholisch und Jesuit – Mathias Werfeli verbindet Konfessionen und freut sich im aki Zürich über die Räume zur Gottsuche.

Mathias Werfeli zieht die lange schwarze Soutane über und stellt den Notenständer mit dem Liturgiebuch vor sich in die erste Bankreihe. Wie jede Woche findet in der Krypta der Zürcher Liebfrauenkirche das Friedensgebet der ukrainisch griechisch-katholischen Gemeinde statt. Pfarrer Ivan Machuzhak am Altar und Subdiakon Mathias Werfeli singen im Wechsel mit den Gläubigen. «Ich liebe die Liturgie», hat der bärtige Mittvierziger kurz vorher im lauschigen Garten der Hochschulseelsorge aki gesagt. «Sie schenkt auch Geborgenheit.» 


Reformierte Wurzeln

Der zukünftige Mönchspriester, der in der byzantinischen Liturgie zu Hause ist, trägt aber auch die katholische und die reformierte Tradition in sich. «Ich bin in einer reformierten Familie aufgewachsen», sagt Mathias Werfeli. Dass der Pfarrer, die Pfarrerin «ganz normale Menschen» sind, Amtspersonen mit Beauftragung zwar der Landeskirche, aber auch der ganzen Gemeinde, hat sich ihm eingeprägt. Ausserdem sei er ohne Marienfrömmigkeit und Heiligenverehrung aufgewachsen. Den Rosenkranz hat er erst als Jesuiten-Novize bei den Schwestern von Mutter Teresa in Albanien kennengelernt. Seine heutige Marienfrömmigkeit sieht so aus: «Maria ist für mich die Frau, die bedingungslos ja gesagt hat und ein Vorbild im Glauben ist, sich voller Vertrauen Gott gab, ohne zu wissen, was kommt, ahnend, dass es nicht einfach ist und ein grosses Abenteuer wird.» Dieses Vertrauen: was Gott macht, kommt gut – das «entspricht auch meiner Berufung». Die da ist? Mönchspriester der Ostkirche oder Jesuit? 

Ostkirchliche Bereicherung

Chronologisch betrachtet kam zuerst die Ostkirche. Seine Tante hat ihn zu ukrainisch griechisch-katholischen Gottesdiensten mitgenommen, «weil sie dort so schön singen». Das fand der junge Mann auch, und nach längerer Bedenkzeit konvertierte er und gehörte fortan zu dieser Gemeinde. Dass das nicht ganz der übliche Weg und eigentlich im Kirchenrecht gar nicht vorgesehen ist, erfuhr er erst später, als er in der Jesuiten-Ausbildung war. «Zuerst hiess es, meine Zugehörigkeit zur ukrainisch griechisch-katholischen Kirche sei kein Hindernis, denn sie ist ja mit Rom verbunden.» Erst als in der Novizen-Ausbildung das Fach «Ordensrecht» auf dem Programm stand, wunderte sich der Professor, hier einen ukrainisch griechisch-katholischen Jesuiten vor sich zu haben. Denn: Seit dem 2. Vatikanischen Konzil gilt innerhalb der Katholischen Kirche mit ihren 23 unierten Ostkirchen mit je eigenen Riten die Abmachung, sich gegenseitig keine Gläubigen abspenstig zu machen. «Wenn protestantische Westler katholisch werden wollen, dann werden sie römisch-katholisch. Wenn Orthodoxe in Osteuropa katholisch werden wollen, dann schliessen sie sich einer der mit Rom unierten Ostkirchen an», erklärt Werfeli. Seinen Fall, dass ein Reformierter sich einer griechisch-katholischen Ostkirche anschliesst, gibt es kirchenrechtlich nicht. «In jenem Moment habe ich mich zum ersten Mal gefragt, was ich eigentlich bin», schmunzelt er. Nun, man hat mit einer sogenannten «Dispens» eine kirchenrechtliche Lösung gefunden, und bei den Jesuiten werden seine reformierten und ostkirchlichen Wurzeln als Bereicherung für den Orden angesehen. Obwohl er öfters auch seinen Ordensbrüdern erklären muss, dass er soeben nicht aus der «orthodoxen Liturgie» zurückkomme, sondern aus einer Liturgie, die wie die orthodoxe dem byzantinischen Ritus folge, jedoch Teil der katholischen Kirche sei. 


Zeit und Ewigkeit

Was könnte die römisch-katholische Kirche von den mit ihr verbundenen Ostkirchen lernen? «Weniger Verrechtlichung. In der römisch-katholischen Kirche muss alles bis ins letzte Detail ausdefiniert sein. In der Ostkirche ist die Liturgie festgelegt, aber im Übrigen vertraut man auf den Heiligen Geist und darauf, dass man für anstehende Fragen eine Lösung findet.» Auch sei die Synodalität, das gemeinschaftliche Vorangehen, in der Ostkirche mehr verwurzelt. Ausserdem habe sich die Ostkirche den «Schatz der Zeit» bewahrt. «Man nimmt sich vor jeder Zusammenkunft Zeit für eine Liturgie, fürs Gebet, und erst nachher wird alles andere angepackt.» Es würden zwar längst nicht alle Liturgien vier Stunden dauern, wie manche meinen, aber man schaue auch nicht auf die Uhr. «Zeit und Ewigkeit verbinden sich in der Liturgie.»  

Was ist das Jesuitische in seiner Identität? «Die Realität so, wie sie ist, anerkennen und wertschätzen. Und fragen: Wo kann ich das ‹magis›, das Mehr an Spiritualität, hineinbringen?» Das lehrt der Heilige Ignatius, Ordensgründer der Jesuiten. Fasziniert erzählt Werfeli eine Geschichte aus der Zeit der Ordensgründung, wo Ignatius einem Mitbruder auf zehn Seiten detaillierte Anweisungen für eine Schulgründung gibt. Und als Letztes schreibt: «Aber wenn ihr es anders vorfindet, dann macht nach eurem Gutdünken.» Das ist für Werfeli wesentlich. «Wir dürfen nicht nur auf eine Art unterwegs sein. Wir müssen Raum geben fürs Suchen. ‹Gott suchen und finden in allen Dingen›, sagt Ignatius. Auch als ganze Kirche: Wenn wir den Menschen nicht mehr die Möglichkeit geben, Gott zu entdecken, ihr eigenes Gottesbild anzupassen, zu entwickeln – dann bleiben wir stehen. Wenn wir in Formen versteinern, werden wir unserem Auftrag nicht mehr gerecht.» Im Moment ist die Realität gerade stark vom Krieg in der Ukraine geprägt. Dank der ukrainischen Liturgie-Gesänge ist ihm die Sprache vertraut und so kann er Flüchtlinge in Zürich besser unterstützen.

Text: Beatrix Ledergerber