Gnade des Alters?

Leben in Beziehung

Gnade des Alters?

Wenn ich an das Leben im Alter denke, fühle ich eine Mischung aus Angst und Faszination. 

Das Alter hat keine Lobby, heisst es … in meinem Umfeld kommen aber dennoch Themen auf wie «Was ist mit den Eltern, wenn sie nicht mehr zwäg sind?» oder «Wo und wie wollen wir im Alter leben?». Schwierig. Ich kann mir kaum vorstellen, nochmals 20 Jahre älter zu sein. Schon jetzt tut mir immer mal was weh, morgens schaut mir ein faltiges Gesicht aus dem Spiegel entgegen. 

Und trotzdem – da gibt es auch eine Faszination. Diese liegt an zwei Frauen – ich korrigiere – Damen. Zuerst an der Ur-Oma meiner Kinder aus Dresden, die als Tochter eines Bergmannes im kriegsversehrten Leipzig Jura studierte, zwei Töchter bekam, Staatsanwältin wurde und auch mit über 90 Jahren noch hochhackige Finken trug, da sie sich zu klein fand. Sie verlor nie die Contenance, unangenehme Gespräche beendete sie mit: «Darüber reden wir nicht!» Und alle in der Familie hielten sich daran. Versuche ich es zu Hause mit einem «Machtwort», geht es gern auch mal schief.  

Meine Töchter inklusive mir sind schwer beeindruckt von ihrer Nenn-Oma (93), einer lieben Nachbarin. Sie kocht und backt und gärtnert und häkelt und strickt und quiltet mit einer Perfektion, die mir noch nie vorher begegnet ist. Alles, was sie anfasst, wird zum Kunstwerk. Auch die Gespräche mit ihr sind lebhaft, aktuell und alles andere als langweilig – selbst für Teenager. Im Herbst verstarb ihr Mann. Die seit 60 Jahren bewohnte und voller Erinnerungen steckende Wohnung wurde gekündigt. 

Kein Grund den Kopf in den Sand zu stecken, fand die hochbetagte Dame. «Ich kämpfe», hieß es. Und klar war sie erfolgreich. Zumindest bis 2025 darf sie nun bleiben. «Lange genug», schallt es mir aus dem Telefonhörer entgegen. «Wenn ich hier raus muss, gehe ich sowieso.» Ich möchte so sein wie die beiden, wenn ich gross bin, äh noch älter bin. Sollte ich zufällig über 90 Jahre alt werden. 

PS: Auch für meine eigene Mutter hege ich Bewunderung – vor allem seit ich selbst Kinder habe. Sie wird aber erst 80 Jahre alt.

Text: Kerstin Lenz, freie Mitarbeiterin